An einem schönen Sonntag im Herbst 2002 findet im Prince Hotel der Stadt Kitakyūshū北九州 [Hafen‑ und Industriestadt in der Präf. Fukuoka auf Kyūshū; 1,02 Mio. Ew.; TH; Eisen‑ und Stahl-, chem., elektrotechn. Ind., Maschinen‑ und Fahr- zeugbau; zwei untermeer. Eisenbahntunnel, ein Straßentunnel sowie eine Hochbrücke nach Shimonoseki auf Honshū; Flughafen; 1963 aus Zusammenschluss der Städte Yahata, Tobata, Wakamatsu, Moji, Kokura entstanden] eine kleine Technologiemesse statt. Einer der Aussteller ist das GMD-Japan Research Laboratory, das Forschungs- projekte zu mobilen Robotern durch- führt, die von der Stadt Kitakyūshū finanziert werden.
Am Ende der Messe waren alle acht Mitarbeiterinnen sehr zufrieden und ich als der Leiter dieses Labs auch.
Da kamen zwei Mitarbeiter der Stadt auf mich zu und sagten mir, ich möge mitkommen, es gäbe noch eine Besprechung, an der ich teilnehmen sollte. Mit meiner Assistentin wurde ich dann in einen riesigen Saal geleitet, in dem sonst eher Hochzeiten stattfinden, aber jetzt ein sehr langer Tisch stand. Auf der einen Seite hatten zehn Personen Platz genommen, von denen ich die meisten nicht kannte. Es stellte sich schnell heraus, dass es um die inhaltliche Ausrichtung des Labs ging und insbesondere einer der Vertreter der Stadt wollte gerne, dass wir die Roboterforschung aufgeben.
Ich war vollkommen überrascht und nicht auf ein solches Gespräch vorbereitet. Ich begann für die Roboterforschung zu argumentieren, da in der Stadt der drittgrößte Industrieroboterhersteller, Yaskawa, sein Headquarter hat. Es ging hin und her und es war klar, dass die städtische Seite am längeren Hebel saß da sie das Lab finanzierte. Auf einmal erstarrten alle mir gegenübersitzenden Männer und schauten an die Decke. Da sah ich es auch. Die riesigen Kronleuchter in dem Saal begannen gut einen Meter hin und her zu schwanken. Ich schaute sofort wieder die gegenüber Sitzenden an und sagte (auf Englisch): »Es ist nur ein Erdbeben.
Wir können weitermachen!«
Daraufhin sagte der Sprecher der anderen Seite, dass wir das Gespräch hier abbrechen und wir uns später noch einmal zu dem Thema wiedertreffen werden. Alle verließen den Saal, die Kronleuchter hatten aufgehört zu schwanken und das Lab war vorerst gerettet.
Das ist ein sehr persönliches Erlebnis. Für mich ein Beispiel, dass wir die Prinzipien des Aikidō nicht nur im Dōjō, auf den Tatami in Keiko-Gi und Hakama anwenden sondern sie insbesondere außerhalb vom Dōjō leben sollen. Man könnte das so sehen, dass ich in dem Augenblick, wo die andere Seite (der Uke?) beim Angreifen auf einmal eine Schwachstelle zeigte, mit Irimi eingetreten bin. Mit einer inneren Haltung, die aufrecht und ohne Furcht war. Es war kein Angriff eher so etwas wie ein Atemi. Und der sorgte dafür, dass der Uke den Angriff aufgab. Es gab keinen Gewinner und keinen Verlierer.
Die Techniken, die wir im Dōjō üben, sind ein Hilfsmittel, eine gute innere Haltung zu entwickeln. Die körperliche Erfahrung als Tori und als Uke tragen dazu bei, dass wir auch außerhalb des Dōjō mit Konflikten ähnlich umgehen können, wie im Dōjō, wo die Konflikte einerseits körperlich und andererseits ein wenig choreografiert sind. Das Wichtigste finde ich, ist die innere Haltung und die Atmung. Diese bestimmen wesentlich, wie uns in jedem Augenblick andere Menschen wahrnehmen. Die innere Haltung wird vom Grundton her durch unsere Emotionen bestimmt.
Wenn ich in dem obigen Beispiel Angst gezeigt hätte, dann wäre vielleicht ganz rasch die Entscheidung gefallen, das Lab zu schließen und dann wären alle gegangen. Dasselbe wäre wahrscheinlich passiert, wenn ich schon vorher wütend geworden wäre, möglicherweise mit lauter und aggressiver Stimme gesprochen hätte. So aber stand der Uke vor der Alternative, sich selber zu schützen (in diesem Fall vor einem externen Ereignis, dem Erdbeben) oder weiter sich mit mir zu beschäftigen. Die Entscheidung für den eigenen Schutz kann sicher jeder von uns nachvollziehen.
Aber war das nicht sehr übermütig von mir, das Anzeichen für ein Erdbeben zu ignorieren und stattdessen dieses Gespräch fortzusetzen? In meiner Erinnerung fühlte ich mich nicht übermütig. Stattdessen so etwas wie, das Erdbeben ist einfach da, da können wir nichts dran ändern. Aber Du, Uke, hast angefangen mich anzugreifen. Das möchte ich gerne unabhängig davon, was um uns herum geschieht, geklärt wissen. Dies ist möglicherweise eine innere Haltung, die schon in der Stoa gelehrt wurde. Dies ist eine wichtige Entscheidung, sich um das zu kümmern, worauf Du Einfluss hast und was die aktuell höchste Priorität hat.
Inzwischen gibt es eine Menge Forschung, wie Atmung unsere Emotionen, Aufmerksamkeit, Denken beeinflusst. Beim Ausatmen entspannt tendenziell die Muskulatur, die Schultern sinken nach unten, der Herzschlag verlangsamt sich ein wenig. Insbesondere, wenn Du langsam ausatmest und das in die Länge ziehst. Wir Menschen können relativ lange tauchen, also ohne Luft zu holen uns bewegen. Übertrage dies auf das Ausatmen in Deiner normalen Lebensumgebung. Ohne besonders trainiert zu sein, kannst Du ein bis zwei Minuten ohne Einatmen auskommen. Der Weltrekord liegt bei 22 Minuten und 22 Sekunden, gehalten von Tom Sietas, einem deutschen Freitaucher.
Ganz anders funktioniert das Einatmen. Versuche einmal genauso lange einzuatmen wie Du ausatmest. Du wirst feststellen, dass das deutlich kürzer ist. Stell Dir vor, Du solltest mindestens eine Minute lang einatmen. Unglaublich und unmöglich. Wenn Du Dich erschrickst, atmest Du eher ein als aus. Und zwar durch den Mund und auch nur so, dass der obere Teil der Lungen gefüllt wird und nicht die Lungenspitzen.
Es ist ein kurzer Sauerstoffimpuls, um schnell reagieren zu können. Tatsächlich passiert aber noch mehr.