Es kann der Bravste nicht in Frieden leben, …

… , wenn sein böser Nachbar das nicht will.


Thomas während des Interview mit Watanabe Sensei in Bonn…

… , wenn sein böser Nachbar das nicht will. Und nur einfach friedfertig sein, genügt nicht, um solche Autokraten wie Putin davon abzuhalten, andere zu quälen, zu foltern, zu töten. Er hat auch noch die Chuzpe, das historisch zu rechtfertigen. Da könnten aber auch die Italiener in die Ukraine einmarschieren. Immerhin war die mindestens doppelt so lange Teil des Römischen Reiches wie Teil des russischen, oder der Mongolen. Ich hoffe sehr, dass die Menschen in Russland ihn davonjagen! Hoffentlich wird er vor ein Gericht gestellt. Dann haben viele Betroffene, Zeugen, die Möglichkeit, auszusagen, was er alles so angestellt hat. Wo er dreist gelogen hat. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, hätte ich mich möglicherweise auch als Freiwilliger gemeldet und mitgeholfen, die Minen, die die sich zurückziehenden (oder soll ich sagen: fliehenden) russischen Truppen hinterlassen, zu finden und unschädlich zu machen. Das habe ich zumindest in meiner zweijährigen Zeit bei der Bundeswehr mal gelernt (bei den schweren Pionieren).


Friedlich sein, heißt nicht, sich jedem Deppen, der Gewalt anwendet, zu unterwerfen. Es gibt diesen Spruch von Jesus aus der Bergpredigt: wenn Dich jemand auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm die rechte hin. Das wird normalerweise so interpretiert, wenn jemand Gewalt gegen Dich anwendet, dann bietest Du ihm an, noch mehr Gewalt anzuwenden. Ziemlich bescheuert, oder? Tatsächlich ist es so, dass zu Jesus’ Zeiten die Offiziere in der römischen Armee einfache Soldaten durch eine Ohrfeige mit der rechten Hand auf die linke Wange gezüchtigt haben. Aber wenn sie einen anderen Offizier züchtigen wollten, dann mussten sie ihn mit der linken Hand auf die rechte Wange schlagen und damit auszudrücken, dass der andere ein Gleichgestellter ist (und da die meisten Menschen Rechtshänder sind, kann man davon ausgehen, dass der Schlag mit der linken Hand nicht so heftig ausfällt wie mit der rechten Hand). Jesus meinte also: Wenn Du mich schon schlagen willst, dann erkenne an, dass ich Dir nicht untergeben bin! Das ist doch eine ganz andere Aussage als: Wenn Du mich schlagen willst, nur zu. Du kannst mich so oft schlagen, wie Du willst.


Ich war 16 Jahre alt, als ich das erste Mal alleine tapeziert habe, mein Zimmer. Ich fragte meinen Stiefvater, wie ich das machen sollte mit dem Verkleben der Bahnen. Es waren gemusterte Tapeten und da gibt es immer an einer Seite einen schmalen weißen Streifen. Das soll helfen, die nächste Bahn ganz genau an das Muster anzusetzen, so dass es ununterbrochen ausschaut. Ich aber dachte, man müsste es abschneiden und dann wie Raufasertapete Kante an Kante verkleben. Mein Stiefvater antwortete ironisch darauf: mach, wie Du denkst. Also habe ich den weißen Streifen sehr sorgfältig abgeschnitten und die Bahnen verklebt. Als mein Stiefvater das Ergebnis sah, wurde er wütend und wollte mir ein paar scheuern, wie er das seit Jahren gewohnt war. In dem Moment, als er ausholte, ging ich in Kampfstellung und bot ihm an, ihn auch zu schlagen. Da brach er in Tränen aus, sagte, er habe es nicht so gemeint, er würde mich lieben etc. etc.


Ungefähr in dem Alter, 1965, ich ging auf ein Internat in der Stadt Idstein, wusch ich mich morgens im allgemeinen Waschraum. Ein älterer Schüler stand neben mir und wusch sich auch. Auf einmal sagte er zu mir: Du hast ja Muckis! Seit diesem Augenblick wurde ich von allen älteren Schülern nicht mehr körperlich angemacht. Dazu muss man wissen, dass diese Schule und das Internat während des „Dritten Reiches“ eine Nazi-Bildungsstätte (sogenannte NAPOLA) war. Aus dieser Zeit haben sich sehr merkwürdige Rituale erhalten. Die Älteren konnten über die Jüngeren bestimmen: Das Essen schmeckt heute nicht. Es geht unberührt wieder in die Küche zurück. Dann gab es eben kein Mittagessen. Prügelstrafe war normal. In meinem Jahrgang gab es noch ein paar, die dieses System überhaupt nicht mochten. Als wir so alt waren, dass wir Stubenälteste wurden oder zum Internatssprecher gewählt wurden, etc., haben wir dieses System komplett abgeschafft. Die Älteren, die noch da waren, haben sich diesbezüglich vollständig zurückgezogen; es gab keine Gewalt mehr.


Und das ist meine Haltung bis heute: Wenn mich jemand mit Gewalt, körperliche, psychische oder institutionelle Gewalt, zu etwas zwingen will, dann leiste ich Widerstand. Ich habe mir dabei nie irgendwelche Sorgen um mich selbst gemacht. Es ist erwiesen, dass oft Psychopathen und/oder Narzissten Machtpositionen innehaben. Aus welchen verrückten Gründen auch immer, geben wir Menschen solchen Mitmenschen häufig die Möglichkeit, solche Positionen einzunehmen. Weil wir es „den Anderen“ mal so richtig zeigen wollen. Die endlich mal das aussprechen, was wir schon immer gedacht haben. „Das muss man wohl mal sagen dürfen!“ Unsere Vorurteile bedienen. Uns das Gefühl von Macht, Wichtigkeit und Überlegenheit geben. Vielleicht auch das alles. Aber tut uns selbst das wirklich gut? Wissen wir, ob wir bei solchen Typen nicht die Nächsten sind, die morgens um drei Uhr von der Geheimpolizei aus dem Bett geholt und in ein Gefängnis geworfen werden? Wer garantiert Dir, dass die Gewalt, das Unrecht, der Zynismus ausgerechnet vor Dir Halt macht und nur den blöden Nachbarn trifft, der sowieso nichts anderes verdient hat?


Diese Typen sind nur mächtig, weil wir ihnen die Macht überlassen! Wenn wir sagen, Du hast keine Macht mehr, dann hat er (meistens sind es eben doch Männer) auch keine Macht mehr. Wie in der Geschichte von »Des Kaisers neue Kleider« wird dann klar, wie jämmerlich und lachhaft sie sind. Das hat schon Étienne de La Boétie, der beste Freund des französischen Philosophen Montaigne, vor ein paar hundert Jahren als 19-jähriger sehr eloquent beschrieben in seinem Essay »Discours de la servitude volontaire« (Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen). Mit dem Kernsatz: »Soyez résolus de ne servir plus, et vous voilà libres!« (Seid entschlossen, nicht mehr zu dienen, und ihr seid frei!). So sehe ich das. Ich bin bereit, in entsprechenden Situationen auch die Anführerschaft zu übernehmen (und habe dies einige Male in meinem bisherigen Leben auch getan).

So viel meine Meinung zur aktuellen politischen Situation.


Und was hat Aikidō damit zu tun? Für mich auf keinen Fall Friedfertigkeit zu predigen und aufzufordern, keine Gewalt gegen Tyrannen anzuwenden. Sie stören die Weltharmonie. Sie hindern unglaublich viele Menschen daran, in Frieden zu leben.  Aktuell sorgt Putin (indirekt) dafür, dass Menschen in Afrika verhungern. Er droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ich halte es hier mit Gandalf, dem Zauberer aus »Herr der Ringe«: Du kommst hier nicht vorbei! ruft der dem Balrog in den Minen von Moria zu. Ich spreche solchen Typen das Recht ab, eine solche Macht auszuüben. Unsere europäische Geschichte ist voll von tatsächlichen oder ausgedachten Ereignissen, wo solche Diktatoren, Autokraten, Willkürherrscher abserviert werden. Ohne Schmerz wird Putin nicht aufhören oder gar nachgeben. Solange »nur« die russischen Soldaten sterben, ist ihm das egal. Erst wenn es ihn persönlich buchstäblich trifft, wird er sich anders verhalten. Und es wird sich, wie bei den meisten dieser Typen herausstellen, dass er ein jämmerlicher Feigling und Angsthase ist. Solange er glaubt, dass er »stärker« ist als der Andere oder er dem Anderen Angst einjagen kann, ist er der grandiose Typ. Für mich ist das wichtigste Prinzip im Aikidō, Harmonie (besser: Ausgeglichenheit und Respekt) in der Welt herzustellen und zu bewahren. Und diejenigen, die diese Harmonie stören oder ausnutzen, daran zu hindern. Dieses Hindern bedeutet unter Umständen zu kämpfen und auch zu töten.



Literaturhinweis:
Étienne de La Boétie https://www.projekt-gutenberg.org/boetie/knechtsc/knechtsc.html


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