Stress

Markus Lieblingsfoto
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»Dass Ihr die Techniken beherrscht, haben wir gesehen, nun zeigt uns mal, dass Ihr auch was hinbekommt, wenn der Puls mal auf Touren kommt.« Der Gesichtsausdruck der beiden, die uns da verschwitzt, erwartungsvoll und leicht skeptisch entgegen blicken, lässt vermuten, dass sie nach den letzten zehn Minuten jetzt nicht durch Eigenleistung darauf gekommen wären, sich unausgelastet zu fühlen.
Am Ende dieses Wochenlehrganges sollen die beiden ihre jeweils nächsten Dan-Prüfungen ablegen. Jeden Tag schauen wir uns daher ein paar der Inhalte der vorhergehenden Prüfungen an. Es ist der Vorsitzende unserer Prüfungskommission, der da nun gerade mehr sehen möchte. Die beiden sollen sich gegenseitig angreifen; immer der, der gerade abrollt, ist derjenige, der dann unverzüglich angegriffen wird.
So ein Randori mit nur einem Angreifer ist ja sonst eigentlich eine ganz entspannte Geschichte. Während Uke durch die Gegend kullert, wieder auf die Beine kommt und dann erneut angreift, kann ich mindestens ein- bis zweimal durchatmen und mich während der Entfaltung des nächsten Angriffs nochmal geschickt ein ganz klein wenig umpositionieren. Ukes Balance und Impulsausrichtung wird so schon dadurch beeinträchtigt, dass man nicht mehr dort ist, wo sie das Zusammentreffen geplant hatte, sondern ein klein wenig daneben, weiter weg oder näher dran. Diese Zielanpassung erfordert einiges an Rechenzeit im Kopf, bindet dort Ressourcen, die dafür aufgewendet werden, die eigene Bewegung neu zu koordinieren, etwas weiter zu greifen, zu beschleunigen oder abzubremsen. Im Effekt führt dies dazu, dass es nicht mehr ganz Ukes Situation ist. Statt sich komplett auf mich zu konzentrieren, ist Uke dann zumindest zu einem Teil mit sich selbst beschäftigt.
Diese für mich entspannte Phase fällt weg, wenn ich nun zusehen muss, möglichst fix wieder auf die Beine zu kommen, und wenn der Angriff schon entsteht, während ich selbst noch damit beschäftigt bin, den Impuls der vorherigen Technik aufzunehmen. Dass nicht jede Art des Fallens dafür gleichermaßen geeignet ist, lernt man recht kurzfristig.
Diese wechselseitige Form des Randori bringt vor allem einen Aspekt mit ins Geschehen: Stress. Dieses Element kennen wir im Randori eigentlich eher, in dem wir nicht nur einzelne Uke in die Gemengelage kippen, sondern die eine oder den anderen mehr. Das Stresselement entsteht dann allerdings zunächst einmal nur dadurch, dass die ruhige Phase zwischen den Angriffen kürzer wird und schließlich entfällt, je nachdem wie viele Uke wie flink und wie koordiniert agieren. Auch zwei Uke sind eigentlich keine große Herausforderung, spannend wird es ab drei, weil dann, während man die eine der anderen vor die Füße wirft, so dass die zwei beschäftigt sind, die dritte sich sortieren könnte.
Dieser Stress ist etwas anders, denn anders als im Randori mit mehreren Uke kann ich mich nicht gezielt positionieren, so dass die dritte Uke zumindest einen Umweg zu mir überwinden muss, weil das Knäuel der anderen beiden den direkten Weg behindert. Vielmehr beginnt der Angriff bereits, während ich selbst noch ganz für mich allein das Knäuel bin. Und so empfange ich Uke nicht im Stadium wohlausbalancierter Souveränität, sondern eher etwas windschief in der Landschaft hängend. Der gleiche Effekt mit der Auslastung mentaler Ressourcen, den ich mir eigentlich gern zu Nutze mache, um mit Uke zu spielen, fordert nun mich.
Diese Forderung macht sich nicht nur in dem Moment bemerkbar, da ich aus der Rolle hochkomme und der Angriff schon da ist. Als ähnlich herausfordernd erweist sich gern der Moment, da man Uke geworfen hat und nun selbst dran denken muss, anzugreifen, statt sich kurz zu sammeln.
Diese Art des Übens ist also nicht nur körperlich intensiv. Wer sich hier davon ablenken lässt, dass eine Ausführung nicht so perfekt war, wie man sie beispielsweise in einer Prüfungssituation gern darstellen möchte, und die nächste Technik daher vorzuplanen versucht, stellt schnell fest, dass es gar nicht so einfach ist, dabei eine sinnvolle Angriffsbewegung abzuliefern. Für überlegtes und konzeptionelles Handeln ist einfach keine Zeit. Hier zeigt sich, was nur oberflächlich gelernt und was verinnerlicht wurde, was man nur kennt und was man beherrscht.
Je mehr etwas verinnerlicht wurde, desto eher erreicht man in solchen Situationen einen inneren Zustand, der mit Fudoshin bezeichnet wird, und der dabei ausgesprochen nützlich ist. Fudoshin 不動心 bedeutet Gleichmut, Unerschütterlichkeit, unerschütterlicher Geist beziehungsweise wörtlich übersetzt »unbeweglicher Geist«.  Fudoshin beschreibt eine innere Verfassung, in der Aufmerksamkeit und Gedanken nicht an konkreten Einzelheiten hängen bleiben, um sie zu beurteilen, einzuordnen oder sich anderweitig bewusst damit zu befassen. Das Geschehen wird zur Kenntnis genommen, aber man bleibt mental nicht daran haften.
In einer Konfliktsituation bietet dies den Vorteil, dass man nicht beispielsweise durch eine Finte


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