Welche Zukunft hat Aikidō als Kampfkunst?


Thomas während unserws Interview mit Watanabe Sensei in Bonn

In dem englisch-sprachigen Online Aikido Journal hat einer der US-amerikanischen Senior-Lehrer, George Ledyard, in einem Beitrag über die Zukunft von Aikidō  nachgedacht. Zuerst beschrieb er in dem Artikel, https://aikidojournal.com/2018/05/11/aikido-an-aging-art-and-its-future/?mc_cid=5b3783c831&mc_eid=09d8c0d08a , den aktuellen Stand. Er bezog sich auf die Situation in den USA, aber ich habe den Eindruck, dass dies auch für Deutschland und andere Länder in ähnlicher Weise gilt. Die Gesamtzahl der Aikidōka gehe zurück, schreibt er, aber insbesondere der Anteil der jungen Männer. Das führe dazu, dass das Training körperlich weniger anstrengend würde und die Übenden nicht mehr an ihre physischen Grenzen geführt werden (können). Auch die Lehrer seien deutlich älter als zu der Blütezeit des Aikidō in den 60er und 70er Jahren. Dazu gibt es andere Kampfsysteme, MMA, Krav Maga, etc., die für sich in Anspruch nehmen, die härteren und effizienteren Selbtsverteidugungssysteme zu sein. Dorthin würden die jungen Männer heute viel eher gehen als zu der alternden Kampfkunst Aikidō.  Er macht am Ende des Beitrags auch einen Vorschlag, wie dieser Krise begegnet werden kann. Die jeweiligen Aikidō-Organisationen sollten spezielle Lehrgänge organisieren, zu denen vielversprechende junge Menschen aus den verschiedenen Dōjōs auf Vorschlag der dortigen LehrerInnen eingeladen werden. Auf diesen Lehrgängen soll dann ein vor allem körperlich intensives Training von verschiedenen Top-LehrerInnen angeboten werden. Es soll eine Alternative zu dem traditionellen Uchi-Deshi-Programm sein, das bis heute im Hombu-Dojo angeboten wird. Dies soll mehrere Ziele verfolgen: Junge Menschen, aber wohl insbesondere junge Männer, sollen dadurch gewonnen und gehalten werden. Das Wissen der Älteren soll so direkt weiter gegeben werden. Die Jungen sollen früher in die Lage versetzt werden, selber Unterricht zu geben. Er geht davon aus, dass wir ein 15-jähriges Zeitfenster haben, um diese Lösung erfolgreich zu etablieren, ist aber skeptisch, ob das wirklich gelingt.  Ich teile die Analyse von George Ledyard und halte sie auch zutreffend für Deutschland. Es gibt einige Dōjōs, die trotz des demografischen Wandels und der Konkurrenz »moderner« Kampfsysteme prosperieren, aber von vielen Dōjō-cho höre ich, dass die Mitgliederzahlen zurückgehen. Kindertraining scheint noch gut anzukommen, aber es findet fast kein Transfer in das Erwachsenentraining statt. 


Ich selber habe mit 23 Jahren angefangen, Aikidō zu üben. Wie ich in meinem letzten Beitrag beschrieben habe, hat sich mein Aikidō in den fast fünfzig Jahren deutlich geändert. Tatsächlich mache ich mir explizite Gedanken welche Angriffsformen und welche Techniken ich außerhalb des traditionellen Curriculums ich in mein Training einbaue: Schwitzkasten, Jabs, Sequenzen von fortlaufenden Angriffen. Die traditionellen Angriffsformen wie Katate-dori Ai- oder Gyakku-hanmi wandle ich ab, so dass das Ergreifen des Unterarms nur der Anfang des Angriffs ist und nicht schon sein Ende. Ich lasse immer häufiger erst die Angriffe üben, bis die einigermaßen realistisch sind und dann erst die Aikidō-Techniken dazu. Explizit Atemi üben, sehen, wo das möglich ist, mit welchem Ziel und wie diese technisch ausgeführt werden können. 


Da ich an der Universität Bonn im Rahmen des Hochschulsports seit Jahren Aikidō unterrichte, musste ich mich auch damit auseinandersetzen, wie das Training für die Menschen Anfang-Mitte Zwanzig körperlich anspruchsvoll ist. Dabei verzichte ich auf die Bootcamp-Methoden, die ich noch in den siebziger Jahren kennen gelernt habe (Hüpfen, Sit-Ups, Froschgang, Liegestütz, …). Stattdessen mache ich immer mehr Anleihen beim Yoga, einmal, um mehr die Beweglichkeit zu üben und zum anderen, den Kreislauf zu belasten. Schnellkraft und Muskeltraining überlasse ich dann dem eigentlichen Üben des Aikidō. Im Schnitt melden sich gut vierzig Menschen jedes Semester an, von denen dann etwas die Hälfte tatsächlich zum Training kommt, eine nicht geringe Anzahl bleibt dann auch bis zum Ende des Studiums. Der Frauenanteil liegt bei 40%. Und es kommen auch etliche Angestellte der Universität zum Training. Das »alte« Training, mit dem ich groß geworden bin, wäre heute mit diesen Menschen vollkommen fehl am Platze. 


Ein wichtiger Punkt fehlt mir in der Analyse von George Ledyard, den ich in meinem letzten Beitrag am Ende angesprochen habe: Das Aikidō, das wir unterrichten und üben, muss effektiv sein. Es muss nachprüfbar mit Angriffsformen aller Art umgehen können. Und zwar ohne, dass ich dem Uke erst erklären muss, wie er/sie sich bewegen sollen, damit meine Aikidō-Technik funktioniert. Immer wieder kommen auch junge Männer in mein Training, die vorher ein anderes Kampfsystem trainiert haben. Zuerst machen die brav mit. Aber irgendwann kommt immer der Punkt, wo sie es wissen wollen. Funktioniert das, was dieser weißhaarige 70-jährige mir da erklärt. Und sie fangen an zu testen. Das finde ich vollkommen natürlich. Und es freut mich jedes Mal, wenn wir beide dabei lernen. Noch mehr freut mich, wenn die Jungs spüren und dann verstehen, das Aikidō funktioniert und zwar ziemlich gut. Sie sind dann sehr bereit, mehr zu



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