Horst Schwickerath

Unsere Körperfunktionen schwingen im 24-Stunden-Rhythmus. Gesteuert werden sie von einem Chronometer im Kopf. Neue Arbeiten haben die Kenntnis über das Funktionieren dieser inneren Uhr wesentlich erweitert.

Bald werden wieder die Uhren auf Winterzeit umgestellt. Wer in den darauf folgenden Tagen erwacht, bevor der Wecker klingelt, und sich abends vorzeitig schläfrig fühlt, kann das auf einen Mini-Jetlag erklären – lässt sich die biologische Uhr doch nicht so schnell verstellen wie die Zeiger einer Kirchenuhr. Den meisten dürfte jedoch die Umstellung auf die Winterzeit weniger Probleme bereiten als jene auf die Sommerzeit. Während wir im Frühling eine Stunde »verlieren«, gewinnen wir im Herbst eine hinzu. Das kommt der Neigung unserer inneren Uhr entgegen. Ähnliches erleben wir auch beim »richtigen« Jetlag nach der raschen Überquerung mehrerer Zeitzonen: Flüge in Richtung Westen führen meist zu geringeren Problemen als solche gen Osten, die den Tag »verkürzen«.

Dass der Mensch über eine innere Uhr verfügt, die auch unabhängig von äußeren Zeitgebern läuft, zeigten bereits eindrückliche Versuche, die in den 1960er Jahren in einem Bunker nahe des bayrischen Klosters Andechs durchgeführt wurden. Obwohl die Probanden in diesem Raum weder über Uhren noch über Radios oder andere Anhaltspunkte für den äußeren Tagesrhythmus verfügten, hielten sie wochenlang einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus ein. Auch ihre Körpertemperatur, ihre Hormonspiegel und viele andere Körperfunktionen schwankten tagesrhythmisch. Allerdings dehnte sich ihr subjektiv empfundener Tag samt allen physiologisch vermessenen Größen mit der Zeit auf durchschnittlich 25 Stunden aus und geriet damit aus dem Takt der Tageszeiten in der Außenwelt.

Normalerweise synchronisieren äußere Zeitgeber – allen voran das Tageslicht – die innere Uhr täglich neu mit dem Sonnenlauf. Denn nur im Einklang mit dem 24-Stunden-Rhythmus der Erdumdrehung können Lebewesen ihre artspezifischen Verhaltenszyklen »vorausschauend« planen: Nachttiere wissen, wann es Zeit wird für die Futtersuche, tagaktive Tiere ziehen sich rechtzeitig an ihren sicheren Schlafplatz zurück, und Pflanzen entfalten ihre Blüten dann, wenn sie am ehesten von bestäubenden Insekten besucht werden… Allein wir, die Spezies Homo sapiens glaubt, sich dem naturgegebenen Tageslauf entziehen zu können. Seit der Erfindung des elektrischen Lichts (dank Humphry Davy oder Thomas A. Edison) machen wir die Nacht zum Tag.

Wie seit 30 Jahren bekannt, tickt die Hauptuhr bei Säugern im Kopf: genauer im Hypothalamus an der Stelle, an der sich auf der Höhe der Nasenwurzel die Sehbahnen kreuzen. Dieser suprachiasmatische Kern oder Nucleus suprachiasmaticus (SCN) – ein Gebiet von etwa zwei Millimetern Durchmesser – ist es, der allen rhythmischen Körperfunktionen wie Schlaf-Wach-Zyklus, Körpertemperatur, Blutdruck oder Hormonausschüttung den Takt vorgibt und ohne den das fein abgestimmte Auf und Ab der verschiedenen Körperfunktionen zusammenbricht.

Seit mehr als einem Jahr glaubt man zu wissen, wie die Lichtsignale der Außenwelt die Uhr im suprachiasmatischen Nukleus synchronisieren. Schien es lange Zeit fast selbstverständlich, dass die Stäbchen und Zapfen unserer Netzhaut – also die Sehzellen, die die Umwelt abbilden – allein als Lichtsensoren dienen, geriet diese Annahme zusehends ins Wanken. Etwa die Hälfte aller blinden Menschen zeigt trotz offensichtlich fehlender Sehfunktion einen mit der Außenwelt synchronisierten Körperrhythmus! Sollte das Auge etwa über ein zusätzliches Lichtmesssystem verfügen?

Wenn also nicht alles täuscht, dann sind es »unbekannte Lichtdetektoren« der Netzhaut, die allein oder im Verbund mit weiteren Messsystemen die innere Uhr im suprachiasmatischen Kern synchronisieren. Zusätzlich scheint dieses Detektorsystem auch andere lichtabhängige Vorgänge – etwa die Pupillenreaktion – zu steuern.

Das neue Konzept von zwei unabhängigen Lichtkanälen im Auge – eines für die Bildwahrnehmung und eines als Helligkeitsmesser für die innere Uhr – hat die unmittelbare medizinische Konsequenz: man entfernt erblindeten Menschen nicht mehr die Augäpfel. Längerfristig wäre es denkbar, dass sich über das neu entdeckte Helligkeitsmesssystem Störungen des biologischen Rhythmus, auch des Jetlags, gezielt behandeln lassen.

In dieser Ausgabe beginnen wir eine Artikelreihe über die japanische Geschichte. Sie beginnt mit: Die Gaijin kommen …

Ab Seite 38 können Sie mein Gespräch mit Horst Späthling aus Berlin lesen. In diesem, wie in vielen anderen Gesprächen, höre ich seit über zwei Jahren Klagen über signifikanten Schülerrückgang. Es wird immer öfter und lauter über ökonomische Schieflagen in vielen Dojos gesprochen – Rezepte gibt scheinbar keine.

Anderseits klagen Fitnessstudios und Kampfsportschulen angeblich nicht über Mitgliederschwund – hat sich da unbemerkt ein Wandel in den Einstellungen vollzogen? Ist die späte, pazifistische Nachkriegs-Lebenshaltung vorüber? Ich erinnere mich an mein letztes Gespräch mit Asai Sensei, im Dezember 2004, als ich ihn nach dem damals üblichen Konditionstraining »Häschenhupf mit Eisenstange« fragte. Er antwortete mir: »die Leute mögen das nicht mehr«.

Wäre es nicht möglich, dass ein Teakwondo-Dojo gut besucht ist, weil die Leiter wissen, was Kampf ist? Kann die »Kampfkunst Aikido« dieses Bedürfnis nicht befriedigen?

Ist physikalisches Training wieder gefragt, oder war es gar, unbemerkt immer gefragt?

Dieser Ausgabe liegt Ihre Abonnementrechnung für 2008 bei.

 

 

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