Horst Schwickerath Wie Osensei schon sagte: »Aikido ist Liebe«, und wir, die wir die Beatles gehört haben, wissen, dass »Money can't buy me love«. Also haben Geld und Liebe nichts miteinander zu tun, richtig?

Falsch! Fast genauso wie das Thema »Sex und Aikido« (wir sprechen eines Tages davon, das ist versprochen) wird der finanzielle Aspekt im Allgemeinen tabuisiert und unter den Teppich (tatami) gekehrt. Dabei hat Geld nicht nur »irgendetwas« mit Aikido zu tun, es spielt eine zentrale Rolle.

Und dies auf verschiedenen Ebenen. Wie jede menschliche Tätigkeit stellt Aikido lediglich eine Facette der Gesamtheit zwischenmenschlicher Aktionen dar und widersetzt sich daher nicht den gesellschaftlichen Regeln oder stellt sie in Frage, welche Illusionen darüber man sich auch immer hingeben mag. Und wer wird schon leugnen, dass Geld ein bestimmender Machtfaktor ist und sowohl beim Individuum als auch in gesellschaftlichen Institutionen einen zentralen Platz einnimmt.

Augenscheinlich herrscht auf der Tatami die größtmögliche Gleichheit. Sei es bekleidet mit dem weißen Keikogi und dem schwarzen oder indigoblauen Hakama, unsere Anhänger bieten das Bild einer klassenlosen Gesellschaft, welche die soziale Herkunft und finanzielle Situation des Einzelnen völlig außer Acht lässt.

Und dennoch... ohne von der Qualität der Ausstattung zu sprechen (Dogi und Hakama, der gehobenen Klasse wie bei Tozando, kosten zusammen bis zu 1000 Euro, das ist nicht wirklich für jeden Geldbeutel erschwinglich) hat man die Wahl des Ortes: Wem daran liegt im Rahmen eines traditionellen Dojos zu trainieren, in dem man täglich praktizieren kann, muss dafür seinen Preis zahlen. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Unterricht, wie er von ehrenamtlich arbeitenden, aufopfernden und fachkundigen Lehrern im Rahmen von Jugendherbergen, in öffentlichen Sportvereinen und sportlichen Multifunktionshallen durchgeführt wird, von geringerer Qualität ist - im Gegenteil. Ein professioneller Lehrer, der für den Unterhalt seines Dojos und für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss, könnte sich dazu verleiten lassen, seinen Unterricht mehr oder weniger entsprechend danach auszurichten, um seine Schüler und deren Beiträge halten zu können. Wir haben von einem professionellen Lehrer aus einem Frankreich benachbarten Land hören müssen, dass er kote-gaeshi aus seinem Programm herausgenommen hat, weil es »weh tun würde« (Zitat), was die Leute dazu veranlasst hätte, nicht mehr zu kommen, und dass er das Geld von Jedem brauchen würde. Er würde dabei im übrigen nichts anderes tun als seinem japanischen Meister zu folgen, der erklärt habe, dass er, wenn er heute noch so unterrichten würde, wie er es während seiner Anfänge in Europa getan habe, nicht viele Leute auf die Matte bekommen würde, wenn er gut leben wolle. Chiba Sensei hat in einem Interview gesagt - welches durch Aikido online (1) veröffentlicht wurde - dass er es manchmal bedauern würde, ein professioneller Lehrer geworden zu sein, denn: »Wenn man ein professioneller Lehrer ist, ist es schwierig, die Reinheit der Kunst zu erhalten, die Reinheit der Absicht, weil das Leben da mit hineinfließt, die Familie, das Geld; man beginnt die Mitglieder des Dojos zu zählen (...) man muss sehr auf der Hut sein, um die Kunst so rein wie möglich zu erhalten. Aber dann stirbt man vor Hunger.«

Doch dann, wenn man die Schwelle eines Clubs oder Dojos überschreitet, gewinnen die sozialen Unterschiede an Bedeutung. Während die Teilnahme an örtlichen Lehrgängen im Bereich des Erschwinglichen bleibt, sieht man sich, falls man »Senseis Spuren« auf den europäischen Tourneen »folgen möchte« oder regelmässig in seinem Dojo praktiziert, den Gegenwert für einen Aufenthalt in Japan bezahlen will, muss man schon über genügend Freizeit und beachtliche finanzielle Mittel verfügen. Dies ist nicht neu, der zweite Doshu, erklärte er nicht während einer Unterredung in einem japanischen Journal von 1957: »Da die Familie meines Vaters eher wohlhabend war, konnte er eher ein ästhetisches Training (Zitat) der Kampfkünste durchführen.« (2) Und bis auf wenige Ausnahmen (Saito Sensei zum Beispiel) gehörten die ersten Schüler des Gründers der Aristokratie oder der wohlhabenden Bourgeoisie an.

Aikido existiert also nicht in einem luftleeren sozioökonomischen Raum, und genauso wie die Zahl der Kinder von »Arbeiterinnen und Arbeitern« an höheren universitären Einrichtungen lächerlich gering ist (wie in Frankreich zum Beispiel an den Grandes Ecoles oder an Eliteuniversitäten), funktioniert die soziale Auslese auch in der Welt des Aikido. Sicherlich gibt es, was diese Domäne betrifft, eine »französische Ausnahme«, und die Beamten, insbesondere die Schullehrer, stellen im Verhältnis eine bemerkenswert große Anzahl von Unterrichtenden aus zwei großen Verbänden hervor, wodurch die Diskriminierung aus finanziellen Gründen ein wenig aufgefangen wird. Jedoch in der übrigen Welt wird die Szene des Aikido oft von denen beherrscht, die über das notwendige Kapital für das »Studium von Aikido« und für die Eröffnung eines Dojos verfügen.

Ein weiterer Gesichtspunkt, der noch mehr tabuisiert wird, ist, dass das Aikido beim Aikikai, also bei der Familie Ueshiba, schon eine »Familienangelegenheit« ist. Dies hat nichts mit Herabsetzung zu tun, aber macht doch deutlich, dass das Aikido Eingang gefunden hat in die so genannte »kapitalistische« Gesellschaft. Ganz wie die katholische Kirche lebt der Aikikai von seinen Einnahmen: seine Legitimität ist die Anbindung an die Linie des Gründers. Und wie die Kirche, um das zu werden, was sie ist, einige Kompromisse mit dem Römischen Reich eingehen musste, musste sich der Aikikai unter Kisshomaru Ueshiba auf das Japan der Nachkriegszeit und auf die heutige Welt einstellen. Yamada Sensei hat in einem Interview (3), das im Oktober 2001 in »Aikido on line« erschienen ist, folgendes gesagt: »Soweit ich weiß, hat sich der Gründer des Aikido, O Sensei, recht wenig um Dangrade geschert. Nichtsdestoweniger mussten sie (der Aikikai) aus geschäftlichen Gründen, die Kunst des Aikido weiter fördern und verbreiten sowie ein Unternehmen gründen (create a business) um Geld zu verdienen.«

Gemäß einem Tarif aus dem Jahre 1997 datierend kostet ein 4. Dan 42000 Yen (307 Euro), wenn man das Examen ablegen will. Bei Empfehlung muss man mit 63000 Yen (460 Euro) rechnen. Ein 6. Dan kommt auf 84000 Yen, was 615 Euro macht. Um das Ganze in ein Verhältnis zu setzen sei daran erinnert, dass eine Person mit einem Kind von der Sozialhilfe (in Frankreich) eine Zuwendung von 626 Euro pro Monat bezieht (Deutschland 444 - 488) und dass der monatlich tariflich festgelegte Mindestlohn 1090.48 Euro (in Frankreich) bei einer 35-Stunden-Woche beträgt. Selbstverständlich muss das Hombu leben und ebenso die Verwaltungsmaschinerie des Aikikai, aber etwas mehr Transparenz bei den Geldangelegenheiten würde niemandem schaden.

Dieses Problem stellt sich nicht auf der Ebene der großen französischen Verbände, welche dem wachsamen Auge der Kontrolle unterliegen. Die Frage, die man in Bezug auf das Aikido in Frankreich stellen könnte ist die der Abhängigkeit der staatlichen, ministeriellen, regionalen und kommunalen Geldbeutel. Ohne diese beträchtlichen Summen wäre das französische Aikido nicht das, was es ist, eben das führende Land in der Welt hinsichtlich der Zahl der Praktizierenden und (kikeriki) zweifellos auch in Bezug auf das Niveau der Unterrichtenden und Praktizierenden.

Aber laut dem englischen Sprichwort »who pays the piper calls the tune«, was bedeutet: »Wer den Musiker bezahlt, wählt die Musik aus, nach der man tanzt«. Wie kann man sicher sein, dass die Musik, die die Geldgeber den Verbänden vorspielen, diejenige ist, die am besten zu den Tanzschritten passt, die auf den Tatamis getanzt werden? Aber ohne die Subventionen würde es nur einige private Aikidoschulen geben, welche für die meisten unerschwinglich wären? Aikido reserviert für die Kinder der Reichen oder Aikido für alle, Aikido hart und rein oder Aikido als Sport und Freizeit? Ist das ein wirkliches Dilemma oder nur ein scheinbares Problem? Wie denken unsere Leser darüber?

Und nun etwas ganz anderes, wir möchten, unsere Leser mobilisieren, mit uns, in einem »kollektives kokyu rokyu«, 10 Kerzen ausblasen! Also, alle gemeinsam: »Aïkidojournal, otanjobi omedeto gosaimasu«!!

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