Ich las letzthin, dass die Ökonomen ein sehr grosses Interesse am »Vertrauen« hätten, was aber auch nicht neu sei. Es soll sich in den letzten sogar Jahren sehr belebt haben.
Einer der Gründe sei, dass sich die moderne Arbeitswelt in rasantem Tempo verändert und sich die »traditionelle Beziehung« zum Arbeitsplatz, zum Kollegen, zum Vorgesetzten, durch Netzwerke, moderne Telekommunikation, E-mail etc. erheblich gewandelt habe. Nicht zuletzt die Fortschritte in der Kommunikations- und Informationstechnologie haben den Stellenwert von »Vertrauen« in der Arbeits- und Umwelt deutlich erhöht.
Wer einen Blick an der Bushaltestelle oder am Bahnsteig auf die morgendlichen Berufspendler wirft, sieht stumme oder eifrig mit dem Handy telefonierende oder rummanipulierende, aber nicht MIT-einander kommunizierende Individuen.
Das Bedürfnis nach »Vertrauen«, nach »vertrauensvollen Beziehungen« ist aber nicht zurückgegangen, sondern vielmehr gewachsen.
Das ist nicht überraschend: Je weniger wir in der Lage sind, das Verhalten unserer Mitmenschen, der Kollegen, Mitarbeiter usw. durch eigene Anschauung zu verifizieren bzw. zu kontrollieren, umso eher ist uns daran gelegen, auf Fairness, Stetigkeit, Verlässlichkeit »vertrauen« zu können.
Nun lässt sich einwenden, dass sich alle (oder doch fast alle) dieser Attribute zwischen den Beteiligten »vertraglich« regeln lassen und es die vereinbarten (impliziten oder expliziten) Vertragsstrafen sind, die für eine Befolgung der Abmachungen sorgen.
Die neue Institutionenökonomik und insbesondere die formale Vertragstheorie haben in den letzten 20 Jahren eine Fülle von eleganten, mathematisch anspruchsvollen Modellen entwickelt. Es wird gezeigt, unter welchen Bedingungen die Anreizkompatibilität der Verträge auf allen Seiten gross genug ist, damit eine Erfüllung der Vereinbarungen erwartet werden kann.
Liest sich das nicht wie ein schlechter Witz, da wird von Vertrauen gesprochen, aber der drohende Finger ist gleich oben!
Warum muss Vertrauen über Umwege greifbar gemacht werden, darf der Mensch nicht einfach sich selbst sein – ist das störend, etwa »nicht greifbar«, »nicht glaubwürdig«, »nicht transparent«?
Mangelt es da nicht an Vertrauen?
Der kürzlich verstorbene Philosoph Hans-Georg Gadamer hat die gesamte Hermeneutik als die Kunst des Zuhörens bzw. »Zuhörenkönnens« definiert. Und tatsächlich ist nur schon unsere Alltagssprache, unser Verhalten an sich voller Vertrauensbezüge, die uns den Weg für ein ökonomisches Verständnis weisen.
So sprechen wir davon, jemandem einen »Vertrauensvorschuss« zu geben, im günstigsten Falle ihm sogar »Vertrauen zu schenken« oder aber die zurückhaltende Variante, in ihn Vertrauen »zu setzen«. Wir nehmen dabei bewusst die eigene Verwundbarkeit in Kauf. Umgekehrt möchten wir das Vertrauen unseres Gegenübers »gewinnen«. Dies tun wir etwa, indem wir ihm gegenüber »vertrauensbildende Massnahmen, oder Gesten« ergreifen (in diesen Tagen im deutschen »Wahlkampfalltag« sehr gut zu bebachten).
Alle diese symbolisiert nichts anderes als eine Investition bzw. die »Einladung« an unser Gegenüber zu eben einer solchen Investition. Wenn sich die Investition für uns »bezahlt macht«, sie also eine positiven internen Zinsfuss aufweist, sind wir bereit, sie zu wiederholen (genau an dieser Stelle hat die »Spieltheorie« ihre Berechtigung).
Wenn ich bereit bin, immer wieder Risiken einzugehen um meinem Gegenüber vertrauen zu können – oder im Sinne der Ökonomen – auf neuen Märkten, bei neuen Produkten oder Verfahren, wird klar wie sich Vertrauen und Risiko zueinander verhalten.
Die Folge anhaltender Investitionen ist bekanntlich die Bildung von Kapital. So erhält Vertrauen den Charakter einer messbaren Grösse: »ich besitze sein Vertrauen«.
Dabei spielt die Reziprozität eine überragende Rolle: Das eigentliche Ziel ist nämlich »zueinander Vertrauen fassen«, um schliesslich miteinander im »gegenseitigen Vertrauen« (Bestandesgrösse) umzugehen.
Die Rendite der eigenen Investition korreliert positiv mit der Investitionsrendite meines Gegenübers. Ohne das Vertrauen des anderen in mich ist mein eigenes in ihn auf Dauer wenig ergiebig. Hier leuchtet auch der Unterschied zur »Glaubwürdigkeit« auf: Diese ist im Unterschied zum Vertrauen zunächst einmal ein einseitiges Phänomen: Man kann sie zwar verlieren, aber niemals schenken.