Horst Schwickerath

Was heisst schon perfekt. Auch wenn vermeintliches Chaos in Natur und Schöpfung eben nur vermeintliches Chaos ist und immer eine Logik zu­grun­de liegt, kann man das beim von Menschen geschaffenen nicht immer und grundlegend behaupten.

    Im Falle der letzen Ausgabe 3/00 etwa, gelten keine Sonderregeln, sondern mir bleibt nichts anderes übrig, als mich zu entschuldigen. Denn, ich liess die Verkaufspreise ein wenig viel »durcheinander purzlen«. Kurz: in der Aus­gabe 1/00 traten bis anhin unbekannte Fehler in meinem Programm auf, wel­che die Fertigstellung erheblich beeinträchtigten. Diese Fehler kumu­lier­ten sich in der Augabe 2/00, ohne sicht- und erklärbare Ursache. Folg­lich lag der Entscheid nahe, für die Ausgabe 3/00 eine ältere Maske zu ver­wen­den, die fehlerfrei war.

    Und da nun versagte der menschliche Teil, das Streben nach Perfektem, denn es ging vergessen, dass in dieser alten Maske auch noch alte Preise an­gegeben waren, die auf den neusten Stand hätten gebracht werden müssen. Ein dickes »Pardon«, an all diejenigen vor allem, die das Aikido­journal weiter verkaufen.

    Das Malheur ist einmal mehr Beweis dafür, dass Technik nur funk­tioniert, wenn der Mensch sie entsprechend richtig bedient.

    Henry, ein langjähriger Freund von mir, besitzt seit sechs Jahren denselben Computer – eine Occasion. Ein Freund der Technik war Henry nie. Er lebt nach dem Grundsatz: Was funktioniert, braucht nicht ersetzt zu wer­den. Recht hat er. Schliesslich ist er Historiker.

    Als ich einmal beiläufig erwähnte, dass an seinem Gerät auch CD-ROMs an­g­eschlossen werden könnten, erwachte jedoch sein Ehrgeiz. Von den kleinen Scheiben mit dem grossen Speichervermögen hatte er öfters gehört, aller­dings noch nie eine gesehen. Er bat mich inständig, das notwendige Zusatz­gerät möglichst bald mitzubringen. Eine CD-ROM – seine erste – hatte er sich bereits beschafft…

    …Peinlich, peinlich, ich hatte Henry zu viel versprochen. Die Meldung: »You need 256 colours – Sie brauchen 256 Farben« war alles, was auf seinem kleinen Schwarzweissbildschirm zu sehen war.

    Dann kamen wir auf andere Fragen. Die CD-ROM, die Henry sich hätte anse­hen wollen, war eine Dokumentation des Holocaust. Es stimmt be­denklich, dass die Daten zu diesem Thema, die ganze Bi­blio­theken füllen, jetzt zusammengerafft auf CD-ROMS Platz haben, die alles in allem vielleicht von der Menge her den Raum einer Kinderschuh-Schachtel einnähmen.

    Die Bibliothek meines Freundes ist enorm. Sein Badezimmer ist der einzige Raum, in dem sich kein Büchergestell befindet. Henrys Finger­spit­zen finden in fast jedem Buch die gesuchte Stelle – und dies innert kürzester Frist. Henry ist «mein kulturelles Gedächtnis», meine geschicht­liche An­laufstelle, mein universales Lexikon. Der In­halt seiner Bücher aber hätte Platz in einem dieser Mini-Chip.

    Die Zukunft gehört dem elektronischen Spei­cher. Dies bestreitet selbst Henry nicht. Täglich werden Unmengen von Daten digita­lisiert. Wie lange sich die Datenträger die heute Standard sind, halten werden, ist allerdings ungewiss. Bei der ra­santen Entwicklung der Tech­nik kann es gut sein, dass sich eines Tages nicht mal die pas­sen­den Geräte auftreiben lassen, um sie zu le­sen. Seit der Erfindung des Buchdrucks, oder an­ders, seit der ersten Zeile, die auf Steinplatten, Pa­pyrus­rollen oder anderweitige Materialien ge­schrieben, gemeisselt, gekerbt usw. worden sind, hat sich viel verändert. Aber die alten «Daten­träger», die finden sich auch heute noch und ha­ben über Jahrtausende hinweg ihre Gül­tig­keit und Lesbarkeit behalten. Auch wenn ab und an der Bücherfrass in den alten Biblio­theken wütet...

    Henry holt sich ein Bier – und wird zu­sehends feuriger. Seinen Beruf versteht er als Verpflich­tung – zu erfassen und zu ordnen, was auf die­ser Welt geschah. Verächtlich zeigt er auf meinen Laptop. »Wie viele Farben verlangt demnächst der Kosovokrieg? Zweihundertsechs­undfünfzig? Zwölf­tausend­undeine?«

    Kleinlaut packe ich mein CD-Laufwerk wieder ein. Dass das CD-Rom nicht gelesen werden kann, hat zwar überhaupt keinen Zusammen­hang zwischen Kosovokrieg und Farben, sondern simpel mit der Tatsache, dass Henry auf seinem alten »vorsintflutlichen« Computer nicht die ent­sprechende Grafikkarte hat. So wie ich Henry kenne, wird er sich aller­dings keinen neuen Com­puter kaufen und auch seinen alten nicht un­bedingt gross aufrüsten wollen.

    Von der Geschwindigkeit hat er nie viel ge­halten. Möglicherweise hat ihn mein heutiger Be­such darin noch bestärkt.

    Das Leben heute ist schnell geworden, bereits gibt es eine Kontra-Haltung, IN wird sein, wer sich ein Mittagsschläfchen gönnt, OUT, wer auch über den Mittag durcharbeitet. Es ist doch wohl verrückt, dass uns Trend­be­wegungen dazu verhelfen müssen, wieder etwas langsamer zu treten. Und ob die Wirtschaft sich mit diesem Trend einverstanden erklären wird, ist wohl eine Frage, die auf einem anderen Blatt ausführlich analysiert werden müsste.

    Doch zurück zu Henry, seine Frage ist ernst gemeint: Was geschieht mit unseren Erinnerungshilfen? Beschleunigt die digitale Welt das Vergessen? Ganz einfach darum, weil »alte« Zeugnisse nicht mehr lesbar sind? Bereits heute gibt es über fünfzig Videoformate. Werden sie zu Opfern des Films, der »Zukunft« heisst? Wer ist der Nutzniesser? Worin besteht der Profit?

    Henrys wohnt weitab. Der Weg ist eingebettet zwischen Feldern. Am Horizont leuchten die Lichter der Stadt. Ruhe liegt in der Luft.

    Die Ruhe, die es braucht, sich einem Thema Seite für Seite zu widmen, gemächlich und im Rhythmus des Herzschlages. Damit das Hirn Zeit hat, zu erfassen, was es aufnimmt. Losgelöst von der starren Sitzhaltung vor einem Bildschirm. Nach neuesten Erkenntnissen lernt es sich ja am besten, mit dem Buch in der Hand. Den Körper entspannt, da hin gesetzt oder liegend, wo es ihm am bequemsten ist. In der Hand das Buch, dick, dünn... – dem Thema gerecht werdend – vogelfrei in seiner Art, losgelöst von jeder Technik.

Ihr Horst Schwickerath

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