Horst Schwickerath Meine Wege führten mich überraschend nach Berlin. Die »neue/alte« deutsche Hauptstadt wirkte seltsam bis unwirklich auf mein Gemüt. Ich vermag dieses bis heute nicht zu beschreiben. Vielleicht lag es an den alten Bildern, die ich seit über zwanzig Jahren »konservierte«, vielleicht aber auch an den oft »reizenden« Gegensätzen, die einen scheinbar hinter jeder Hausecke erwarten.

Schön war es, einen alten Freund, den ich dort überhaupt nicht erwartete, wiederzusehen. Zeitbedingt konnte ich leider wieder einmal viel zu wenige Dojos besuchen. Aber die, die ich sah, die wirkten angenehm auf mich. Den verantwortlichen der »Stadt Berlin« könnte man vielleicht eine »Dojotour« verordnen, damit diese etwas von Harmonie und sozialen Engagement lernen, was dem Stadtbild sicherlich nicht schaden würde.

Wolfgang Baumgartner und seine Takemusu-Iwama-Aikidokas organisierten in Berlin-Kienbaum ein Seminar mit dem Sohn des verstorbenen Morihiro Saito sensei. Hitohiro Saito sensei, heute 47 Jahre alt, hat das Erbe seines Vaters angetreten. Er sagt, dass seitens des Aikikais ihm einige Steine in den Weg gelegt wurden, die ihn letztendlich zum Austritt aus dem Aikikai bewogen haben Den ersten Teil des Interviews mit Hitihiro Saito sensei lesen Sie am Ende dieser Ausgabe.

Der zweite Teil des Interviews mit Winfried Wagner, das in dieser Ausgabe erscheint, ließ mich wieder nachdenklich werden ...so dass ich Ihnen meine Gedanken dazu nicht vorenthalten möchte:

In der Körperpsychotherapie sind Gefühle besonders leicht zugänglich und spielen eine zentrale Rolle. Unsere Erlebnisqualitäten, wie z.B. unsere Wahrnehmungen, unser Verhalten, besonders aber auch unser Denken, unsere Erinnerungen, unser Wille und unsere Entscheidungen werden entscheidend von Emotionen geprägt. Menschen werden, wenig über Kognition (Wahrnehmungen u. Erkennungen) und über die Sprache, ja sogar kaum durch Einsichten beeinflusst oder verändert, sondern hauptsächlich durch Emotionen. Der emotionale Zustand ist ausserdem entscheidend für die Gesundheit und den Zustand des Immunsystems. Emotionen werden als primär nicht bewusste Grundlagen des Erlebens angesehen. Zeichen für diese Emotionen können allerdings von aussen von anderen Menschen gesehen werden (»e-motion«), was in der gezielten Wahrnehmungsschulung von Körperpsychotherapeuten sehr differenziert geübt werden kann.

Im Unterschied zu Emotionen sind Gefühle jene Emotionen, die von innen heraus erlebt und die einem bewusst werden. Diese Unterscheidung scheint auch aus körperpsychotherapeutischer Sicht sinnvoll zu sein. Affekte entsprechen in diesem Sinne am ehesten dem Verständnis von Emotionen. Der emotionale Gehalt von Informationen ist eine wesentliche Bedingung für Entscheidungsprozesse. Durch Emotionen werden beispielsweise relevante von irrelevanten Reizen unterschieden.

Affekte, Emotionen und Gefühle ihrerseits sind untrennbar mit dem Körper, speziell mit Mimik und Gestik verbunden. Das wechselseitige Feedback zwischen diesen verschiedenen Systemen ist essentiell (Carrol Izard beschrieb diesen Zusammenhang schon 1977). Die durch äussere oder auch innere Reize ausgelösten affektiven Reaktionen im Körper werden folglich als somatische Marker (griech. körperlich) bezeichnet.

Das Erleben wird ausser durch die Hormone des Stresssystems auch durch die Geschlechtshormone (Testosteron und Östrogene), durch Schilddrüsenhormone und zahlreiche weitere Neuropeptide mitbestimmt. Gleichzeitig wird der entsprechende Hormonspiegel durch unser Verhalten und Erleben und durch unsere soziale Stellung beeinflusst.

Im Vorhof des Herzens wird eine atriales natriuretisches Peptid gebildet. Es entsteht besonders bei Dehnung des Herzens, aber auch durch Bewegung. Es hemmt Angst und regelt das Stresssystem herunter. Man kann spekulieren, ob (z. B.) besondere Gemütsverfassungen, wie z.B. Herzlichkeit, bei der Ausschüttung eine Rolle spielen könnten.

Auch die Neurobiologie hat es jetzt bestätigt: Psychotherapeutische Arbeit ohne Einbeziehung der Emotionen ist eher fragwürdig. Körperpsychotherapeuten weisen schon lange auf klinische Erfahrungen hin, wonach Emotionen gezielt aufgerufen und genutzt werden können und wodurch ein Einfluss auf die grundsätzlich emotionale Gestimmtheit auf viele Weisen möglich ist.

Da sowohl der Körper als auch die Affekte und die Emotionen so zentral das Erleben bestimmen und miteinander verbunden sind, ist es naheliegend und möglich, alle affektiven sensorischen und motorischen Kanäle immer differenzierter anzusprechen. Affekte sind immer verkörpert. Sie enthalten physiologische Anteile, aber auch Emotionen und Impulse. Solche Impulse können leichter erfahren werden, wenn man sie in einer »achtsamen Verfassung« in Handlung umsetzt. Grundsätzlich gilt: Achtsames Verweilen bei Empfindungen und Affekten führt zu Emotionen und eröffnet ihren gegenwärtigen Kontext. Die dabei erfahrenen Gefühle können bewusst werden und führen in dieser Bewusstseinshaltung leichter zu den zugrunde liegenden Erinnerungen und den kindlichen Gefühlsverfassungen, die dann heilsam behandelt werden können.

Dieses Thema scheint unerschöpflich ....

Ihre Aikidojournal-Redaktion

© Copyright 1995-2024, Association Aïkido Journal Aïki-Dojo, Association loi 1901