Was ist ein »erfülltes« Leben?

    Im Gehirn, in den Basisstrukturen des lim­bi­schen* Systems, sind bei jedem Menschen die em­o­tionalen Reaktionen verankert. Sie werden mit den Erfahrungen in Verbindung gebracht, wenn wir etwas »abspeichern«. Erst dadurch wird es möglich, instinkthaftes Ver­halten durch Lern­pro­zesse abzulösen.

    Zwei grund­legende Reaktionen – Neugier und Angst – sind die Triebfeder. Die Neugier ist von Beginn des Lebens an vorhanden. Unsere Erfahrungen steuern sie. Die »Suche und Provo­ka­tion« bestimmter Situationen, die für unsere Lernfähigkeit wichtig sind, werden durch die be­reits gespeicherten Erlebnisse assoziiert. Um uns wohlzufühlen, suchen wir also nach Stimu­la­tio­nen.

    Zu wenig Stimulation empfinden wir als un­an­ge­­nehm, als Langeweile. Wenn z.B. ein Lehrer nicht in der Lage ist, seine Schüler auf der Höhe ihrer Verständnismöglichkeiten – auch emotio­nal – anzusprechen, dann langweilen sie sich.

    Zu viel Stimulation schätzen wir allerdings auch nicht und schalten ab. Ein mittleres Niveau der Gehirnaktivierung ist angenehm, dann lässt es sich am effektivsten arbeiten. Die spielerische Mathematik etwa stimuliert mehr als stures ein­trichtern, das der Entwicklung angepasste richti­ge Mass muss getroffen werden.
 
    Wo entstehen unsere Wünsche? Unsere Wünsche entstammen auch un­serem limbischen System. Weil man Wünsche mit Glückserfüllung assoziiert, müsste man logisch folgern: Erfüllte Wünsche = erreichtes Glück!?

    Ist Glück allein wirklich die einzige Folge, wenn Wünsche, sich erfüllen? Und führt dieses Glück zu einem »erfüllten« Leben?
    Vergeht dieses Glück nicht? Kommt es wie­der? Kommt es nur dann wieder – für eine kurze Weile – wenn andere Wünsche sich er­fül­len? Oder speichert sich die Wunscherfüllung immer »als ewig erfüllendes Gefühl« in unserer Erin­­-
ner­ung?

    Emanuel Kant meint in seiner »Kritik der rei­nen Vernunft«, dass »Glückseligkeit die Befrie­di­gung aller unserer Neigungen« ist. In der »Kri­tik der praktischen Vernuft« weist er eine verwandte Bestimmung auf, hier meint er: Glückseligkeit »ist der Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, in der, im Ganzen seiner Existenz, alles nach Wunsch und Willen geht«.

    Eigentlich trivial, insofern es analytisch näm­lich wahr ist: »Wenn wir wünschen und wollen, wünschen und wollen wir eben das, was wir wün­­schen und wollen. Zwar können wir uns kri­tisch zu unseren eigenen Wünschen und Willen verhalten, wenn wir aber das tun, bilden wir um­gehend neue Wünsche aus, die für diese Erfül­lung genauso wichtig sind. Alles Verlangen, wie be­gründet es auch sei, ist reines Verlangen nach Erfüllung.«

    Diese enge Verbindung von Wunsch und Er­fü­l­lung ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Denn, dass ein Wunsch ein Wunsch nach Er­fül­lung ist, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein Wunsch sich erfüllt, wenn das wün­schen­de Sub­jekt die gewünschte Situation er­reicht hat.

    Ein Wunsch, so »vernünftig« er auch sein mag, selbst wenn er die Komponente eines ra­tio­nalen Le­bens­planes ist, bleibt, wenn er erfüllt wird, die Frage schuldig, ob seine zu diesem Zeit­punkt des Le­bens »erreichte Erfüllung« tatsäch­lich die Si­tua­­tion der Erfüllung darstellt.

    Geschenke! Schenken!

    Wir möchten nicht einfach das bekommen was wir wollen. Wir möchten von unserem Glück für unsere Glückseligkeit überrascht werden. Wir wollen oft nicht geradewegs das erhalten, was wir wollen, sondern noch ein bisschen mehr und am liebsten etwas – wenigstes ein bisschen – anderes als das. Eben die Unvereinbarkeit von Verlangen und Erfüllung: Im Austausch gegen das, was unsere Vorstellung uns erwarten lässt und was wir in vergeblicher Anstrengung zu ent­decken versuchen, schenkt uns das Leben etwas, das unserer Imagination bei weitem übersteigt.

    Die Konsequenz!

    Das, was wir erwarten, muss nicht unbedingt das sein, was wir meinen, ver­nünf­ti­ger­weise er­war­ten zu können. Unser Pläne werden nicht nur im Chaos über den Haufen geworfen. Dasselbe gilt auch von vielen Augenblicken existenziellen Ge­lingens. Im Glück und im Un­glück neigen die Si­­tuationen des Lebens dazu, un­ser Wünschen und Wollen zu übersteigen.

    Wie gehen wir mit den unerfüllten oder nicht vollständig erfüllten Wünschen um?

    Die noch viel wichtigere Frage ist und bleibt: »Was braucht es, was ist es, dass wir von einem erfüllten Leben spre­chen kön­­nen?«

 

limbisch: 
in der Fügung limbisches System: (Med.) Rand­ge­biet zwischen Grosshirn und Gehirn­stamm, das die hormonale Steue­rung und das vegetative Ner­ven­system beeinflusst und von dem gefühls­mässige Reaktionen auf Umweltreize ausgehen.


(Limbi = Mehrzahl von) Limbus der;  -, ...bi <lat.; »Rand«>:
1. (ohne Plural) nach traditioneller, heute weitgehend aufgegebener katholischer Lehre die Vorhölle als Aufent­haltsort der vorchristlichen Gerechten und der ungetauft gestorbenen Kinder. 2. (Bot.) oberer, nicht verwach­sener Teil einer Blüte.
3. (Techn.) Gradkreis, Teilkreis an Winkelmess­instrumenten

© Duden – Das Fremdwörterbuch. 7. Aufl. Mannheim 2001. [CD-ROM].

© Copyright 1995-2024, Association Aïkido Journal Aïki-Dojo, Association loi 1901