Bewegungslernen

»wie von selbst, unbewusst, in Gedanken, im Schlaf, im Traum …«


Dr. Viola, mit Ihren Ehemann Hr. Kraus zu Besuch im Büro des AJ - Chateau du Blat

Meist erfassen wir eine komplexe neue Aikidotechnik zunächst kognitiv und führen sie mit der Willkür-Motorik aus. Wie wird dann aus holprig geschmeidig? Wer hat da eigentlich etwas davon? Wir selbst natürlich – wir sind zufrieden. Aber hauptsächlich hat unser Gehirn daran ein Interesse: „Bewusstes Denken verbraucht ungeheuer viel Energie, sprich Sauerstoff und Zucker. Mehr noch als die Muskeln eines gut trainierten Sportlers.“ Es ist also eine Frage der Ökonomie. „Jemand, der sich jahrzehntelang mit einer bestimmten Materie beschäftigt hat, verbraucht [dabei] nur einen Bruchteil der Energie“ im Vergleich zu einem Anfänger, „denn einen Großteil der Arbeit erledigt sein Unbewusstes.“1 „Die moderne Hirnforschung versteht unter dem Begriff unbewusst […] alles was sich in unserem Kopf abspielt, ohne dass es in unser Bewusstsein gelangt [das sind] geschätzte 95 Prozent.“2

Ganz ursprünglich ist Vormachen lehren, sind Zusehen und Nachmachen lernen. Eisbärkinder brauchen zwei Jahre, um die „komplexen Jagdtechniken [...] von ihrer Mutter“ (S. 33) zu lernen. Junge Schimpansen müssen sich abgucken, wie man mit einem Ästchen Ameisen aus dem Bau holt. Abschauen kann sogar instinktgebundenes Verhalten überformen: So haben Orcas („Killerwale“) einer bestimmten Population Jagdformen entwickelt – und offensichtlich weiteren Generationen vermittelt – die sie nirgendwo sonst auf der Welt beherrschen. Schimpansen einer Kolonie haben eine Technik entwickelt, sehr harte Nüsse zu knacken – und offensichtlich weiteren Generationen vermittelt – die eine andere Kolonie nicht kennt, nur weil sie durch einen Fluss von der ersteren getrennt ist. Kinder sind von Geburt an intrinsisch motiviert, zu imitieren.

Spiegelneuronen machen dies alles möglich: Nervenzellen im Gehirn, die beim Betrachten eines Vorgangs gleiche Aktivitätsmuster zeigen wie bei dessen Ausführung3. Für unwillkürliche Nachahmung (latentes Lernen) ist Getanes, Gezeigtes dominant über Gesagtes, Erklärtes – so kopieren Schüler unabsichtlich auch Fehler der Lehrer oder diesem selbst nicht bewusste Eigenheiten.
Nicht jeder kann gut abgucken. Eine „handgreifliche“ Korrektur am Körper des Lernenden ist eindrücklich, wird jedoch manchmal als Machtausübung oder als, sogar sexuell getönter, Übergriff erlebt. Ein Einverständnis einzuholen zeugt von Respekt für die Grenzen der Person. Im verbalen Korrigieren nützen Details mit internem Fokus nur wenig („mache den Schritt weiter – halte den Arm schräger“). Hilfreicher sind Hinweise auf das, was extern bewirkt werden soll: „Führe uke so tief, dass er die Balance verliert … drehe deine Hüfte so weit, dass dein (imaginäres) Schwert ukes Mitte schneidet“. Bei der Absicht einer Einwirkung auf den Partner helfen im Körper unbewusst-automatisch ablaufende Justierungsprozesse und man findet von allein die richtige Distanz; bewusstes Denken stört sogar!

Allmählich erwächst ein Körperwissen, etwa um den Einsatz der Hüfte, dank der Propriozeption (Wahrnehmung von Körperbewegung und -lage im Raum bzw. Lage/Stellung einzelner Körperteile zueinander)4. Übung macht Waffen zur „Verlängerung“ des eigenen Körpers, nimmt sie in diese Eigenwahrnehmung mit hinein.
Das prozedurale Gedächtnis5 als früheste Form der Erinnerung vermerkt Abläufe. Lernen und Veränderungen im Gehirn beeinflussen einander: Körperliche Anstrengung fördert das Nervenwachstum im Gehirn; Wiederholungen verfestigen die Gedächtnisspur an den neuronalen Synapsen. Mehr Korrekturen in ein- und derselben Trainingseinheit verankern eine Technik nicht schneller im prozeduralen Gedächtnis; vielmehr ist es nötig, regelmäßig zu wiederholen und dem prozeduralen Gedächtnis Zeit zu lassen.
Mentales Training – sich Abläufe vorzustellen (nach dem körperlichen Training, vor dem Einschlafen, während einer Bahnfahrt) – aktiviert „ganz ähnliche Regionen im Gehirn wie die Handlung selbst“. „Herz- und Atemfrequenz“ steigen schon bei bloß mentalem Rudern oder Gewichtheben an6.

Erkunden Ratten ein Labyrinth, feuern dieselben Zellen, „die schon während des Laufens aktiv waren, auch

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