Gespräch mit Christian Tisser aus Roquebrune sur Argens/bei St. Raphaêl.

Ich bin der Sohn eines Arbeiters. Im Gegensatz zu dem, was man so von mir erzählt, bin ich nicht der Sohn eines Industriellen. Ich arbeitete nachts in den Markthallen und tagsüber schuftete ich des öfteren als Möbelträger in einem Umzugsunternehmen, um meine Reise nach Japan zu bezahlen. Als ich dort ankam, hatte ich 300 Francs in der Tasche.

Christian Tisser Sensei in seinem Haus in Roquebrune sur Argens.
Christian Tisser Sensei in seinem Haus in Roquebrune sur Argens.

Auf Ihrer Homepage las ich, dass Sie im Alter von 18 Jahren nach Japan gingen. - Wie lange sind Sie dort geblieben?

Ich bin fast acht Jahre geblieben, siebeneinhalb Jahre genau.


Haben Sie nur im Honbu-Dojo trainiert?

Was das Aikido angeht, nur im Honbu-Dojo.


Aber Sie hatten schon hier in Frankreich mit Aikido begonnen?

Als ich nach Japan ging, war ich schon zweiter Dan. Ich habe im Alter von elf Jahren bei Meister Nakazono angefangen zu trainieren. Man hat damals auch viele Stages besucht, jeden Sommer, mit Meister Tamura. Ich habe also meinen zweiten Dan bei Meister Nakazono abgelegt und bin anschliessend nach Japan gereist, ich war 18 Jahre.


Als Sie ins Honbu Dojo kamen, waren ja noch alle alten Meister da?

Als ich ankam, war O sensei gerade verstorben, folglich war der neue Doshu Kisshomaru. Alle grossen sensei der Epoche, die damals mein jetziges Alter hatten, oder sogar noch jünger, waren anwesend. Yamaguchi natürlich, Osawa sensei, der war aber schon älter, Tohei sensei …


Arikawa?

Arikawa, aber sicher doch, Okumaru, und eine Menge junger senseis, naja noch jung … sie waren vielleicht zehn Jahre älter als ich … wie Saotome, Ichihashi, Masuda, Watanabe, alle waren eben da… Selbstverständlich sind heute neue senseis dort: Endo unterrichtete auch im Aikikai, die jungen Lehrer, die meistens den 7. Dan haben, sind sehr gefragt für den Unterricht, ob es nun der Sohn von Meister Osawa ist, oder Yusuno, oder selbst der aktuelle Doshu, wir waren Kameraden im Aikido. Der Sohn von Osawa war da noch nicht im Aikikai, aber zu Yasuno, der ein Jahr älter als ich war, hatte ich einen guten Kontakt. Sabata, Yokota, Miyamoto, die waren noch nicht im Aikikai, als ich damals kam.


Haben Sie jeden Tag im Aikikai trainiert?

Ja, ich habe jeden Tag trainiert. Ich habe gleich versucht, ein Maximum an Trainingseinheiten zu absolvieren, ich hatte aber einige Schwierigkeiten, weil ich keine gute Ausbildung hatte, technisch war ich nicht gut geschult, und ich arbeitete mit viel zu viel Kraft…


Das Alter …

Ja, …und ich wollte unbedingt dynamisch sein - mit 18 will man »ans Eingemachte«. Gut, ich versuchte, mindestens drei, vier Stunden pro Tag zu trainieren, dazu dann auch noch kenjutsu… So habe ich in den letzten drei Jahren, die ich in Japan blieb, alle Aikidokurse im Hunbu-Dojo besucht, zusätzlich dann auch noch die Kurse im Dojo von Yamaguchi sensei, und kenjutsu und ich habe ausserdem noch Thaiboxen praktiziert… ich habe also ungefähr acht bis neun Stunden am Tag trainiert.


Also haben Sie nicht nur mit Yamguchi sensei trainiert?

Nein, nein, nein …wenn ich im Honbu-Dojo war, dann habe ich alle Kurse von allen senseis besucht. Aber meine beiden wichtigsten Lehrer waren der Doshu, zwingenderweise, weil er der Chef des Dojos war, folglich ging ich in all seine Kurse. Ich war sein uke, ausserdem hat er mir viel geholfen und mich beschützt. Ich war ja auch im selben Alter wie sein Sohn, so liess er mich mit ihm zusammen arbeiten. Das war jeden Tag ein Muss. Und ausserdem Yamaguchi sensei, ich besuchte natürlich seine Kurse im Honbu-Dojo und ausserhalb alle Kurse in all seinen Dojos, voilà.

Da ich jeden Tag anwesend war, habe ich die Kurse von Saotome, die von Masuda, die Kurse von Osawa sensei, die Kurse von Tada sensei, nachdem er aus Italien zurückgekehrt war, die von Ichihashi, von Watanabe, von allen, die unterrichteten, besucht. Aber das waren nicht meine Lehrer; das waren Lehrer, die unterrichteten, ich ging in ihre Kurse, wir haben uns alle gut verstanden, ich war selbst mit den meisten befreundet, aufgrund der Kurse im Honbu-Dojo… ich war ein fleissiger, eifriger »Aikikailer«. Ich hatte sogar eine Rolle im Aikikai inne, ich war das, was man den dojo no kanji nennt, das heisst übersetzt so viel wie: Ich wurde ernannt, die Organisation, die sich um die Ausländer kümmerte, zu leiten. Ich hatte also eine Rolle im Aikikai und ich war mit allen jungen Lehrern befreundet. Wir haben oft in den Kursen zusammen trainiert, und wenn ich in ihren Kursen war, dann war ich ihr uke. Aber sie waren genau genommen nicht meine Lehrer. Ich habe vieles von ihnen gelernt, aber sie waren nicht meine Ausbilder.


Es war quasi ein Leben wie das eines uchi deshi.

Ja, genau. Ich hatte denselben Unterricht wie die uchi deshi.


Das System der uchi deshi existiert also im Aikikai?

Ja, das System existiert, für mich aber stand es aus verschiedenen Gründen ausser Frage, in das System des Aikikai einzutreten, was heisst, im Honbu zu leben. Aus einem einfachen Grund: Ich hatte ein Leben ausserhalb. Yasuno hatte zum Beispiel denselben Grund: Auch er wollte niemals im Aikikai leben, weil er ein Leben ausserhalb hatte. Die ushi deshi sind oft Leute die … Es ist ein etwas altes System. Nach, aber auch vor dem Krieg, hatten viele nicht das Nötigste zum Leben, und sie wollten sich ein wenig um alles kümmern: Sie kümmerten sich um den sensei, um das Dojo oder als Sekretär …
Das ist ein System, in das ich niemals hinein wollte, denn als ich nach Japan kam, wollte ich auch leben, nicht nur Aikido praktizieren…, ich wollte auch eine Freundin haben. Wenn ich das ushi deshi-Leben angenommen hätte, wäre das nicht möglich gewesen. Ausserdem hatte ich eine Arbeitsstelle, sprich ich arbeitete ausserhalb, führte also ein Leben ausserhalb des Aikido, folglich stand es ausser Frage für mich. Aber unterrichtsmässig habe ich alles erhalten. Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut, dass man mich eigentlich gleich akzeptierte, aber es hat doch ca. ein Jahr, oder vielleicht anderthalb Jahre gedauert, bis ich wirklich akzeptiert wurde … Denn zu der Zeit damals gab es noch sehr wenige Ausländer, und ausserdem war ich ein junger Bursche von achtzehn Jahren, »man fragte sich ein wenig, wer ich denn sei«, also hat man mich erst beobachtet.

Und dann eines Tages nahm mich Doshu als uke, und dann ein weiteres Mal, und noch einmal, und ab einem gewissen Moment, eben nach ca. einem oder anderthalb Jahren, war ich ein »eifriger und fleissiger Dojogänger«. Doshu nahm jeden Morgen seinen »ersten uke«, das war meistens ein alter Schüler, nicht unbedingt ein ushi deshi, der »zweite uke« war sein Sohn, der »dritte« war Shibata, der »vierte« war ich, dann kamen Miyamoto und die anderen. Ich hatte schon eine etwas spezielle Rolle. Aber ich erhob darauf keinen Anspruch… Ich möchte damit sagen, das war nicht wichtig. … Ich beanspruche nichts, für mich ist das eine alte Geschichte… Ich bin nach Japan gegangen, das ist nun bald 30 Jahre her.

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