Tanaka-sensei

in Pilsen

Seit wann kommen Sie nach Pilsen?

Ich leite seit 1996 fast jedes Jahr Seminare in Pilsen, also schon seit 20 Jahren. Zum ersten Mal kam ich 1989 hier her. Ich habe damals eine Stadt namens Kolin besucht, nachdem ich Nishio-sensei bei einem Seminar in Polen assistierte. Zu jener Zeit waren Aikido und Japaner in der Tschechei noch sehr ungewöhnlich. Etwa 300 Teilnehmer haben das Seminar besucht. Es war sehr voll.

Wann haben Sie das erste Mal von Aikido erfahren?

Das war 1960, ich war gerade 16 Jahre alt. Nishio-sensei und ich waren Arbeitskollegen bei der Regierungsbehörde, die für die Herausgabe von Papiergeld und Briefmarken zuständig war. Wir haben Aikido in dem Dojo geübt, in dem die Sicherheitskräfte Kendo trainiert haben.

Haben Sie vor dem Aikido noch andere Kampfkünste geübt?

Nein, keine. Nishio-sensei hatte damals auch noch nicht so lange Aikido betrieben. Er unterrichtete viel mehr Karate und Judo.

Sie gingen noch zu Schule, als Sie mit dem Aikido begannen, oder?

Tagsüber habe ich gearbeitet und abends bin ich zur Schule gegangen. Tagsüber konnte ich erst trainieren, als ich in meinem dritten Studienjahr war. Nishio-sensei und ich haben sechs Jahre lang zusammen gearbeitet. Er hat dann 1970 gekündigt, um professioneller Aikido-Lehrer zu werden.

War Nishio-sensei Ihr einziger Lehrer?

Nishio-sensei war mein erster Aikido-Lehrer. Bei ihm lernte ich dreißig Jahre lang Aikido, Iai, Kumi-Ken, Kumi-Jo und so weiter. Ich war damals wohl ein guter Schüler. Ich habe mich dann jedoch von ihm getrennt, weil ich Zweifel an seiner Denkweise und seinen Techniken bekam. Danach wurde ich von einem Bekannten mit Saito-sensei in Iwama bekannt gemacht und habe zehn Jahre lang bei ihm und auch bei Yamaguchi-sensei und Arikawa-sensei trainiert. Durch das Kumi-Ken und Kumi-Jo in Iwama habe ich viel gelernt. Durch lange Übung habe ich gelernt, wie sich das Taijutsu des Aikido durch die Arbeit mit dem Schwert manifestiert.

Gehört Ihr Dojo einer Organisation an?

Ja, mein Dojo „Aikido Sho-to-kai“, das ich seit 1996 in Chiba betreibe, gehört dem Aikikai an.

Ist Ihr Aikido sportlich oder eher spirituell orientiert?

Aikido ist kein Sport, sondern Budo. Es gibt viele Unterschiede. Das Einüben des Aikido verbessert den Zustand des Geistes und die Persönlichkeit. Falls das Training nicht dazu führt, dann stimmt etwas nicht.

Sie arbeiten hier mit Stefan [Stenudd] zusammen. Ist die Zusammenarbeit mit anderen Lehrern für Sie schwierig?

Ich habe meinen Stil und er hat seinen Stil. Das ist den Teilnehmern sehr wichtig. Wir arbeiten während des Seminars problemlos zusammen. Nächstes Jahr möchte ich wieder ein Seminar mit ihm zusammen abhalten. Die Schüler sind bei diesen Seminaren in der Lage die Gemeinsamkeiten unserer unterschiedlichen Stile zu entdecken. Es ist ab einem bestimmten Level schwierig sein Aikido-Niveau zu verbessern, selbst wenn man einen guten Lehrer hat. Darum müssen wir immer weiter üben. Für den, der sich an die Lektionen unseres Seminars erinnert, kann dies in der Zukunft nützlich sein. Im September fand in Takasaki der 12. Internationale Kongress der IAF statt, an dem viele Schüler und Lehrer teilgenommen haben. Das ist ein tolles Projekt. Ich hoffe, dass wir hier in Pilsen etwas Ähnliches veranstalten können, natürlich in kleinerem Maßstab.

Planen Sie Ihr Training im Voraus?

Der Hauptanteil des Trainings besteht aus Kata-Geiko. Ich unterrichte also hauptsächlich Grundlagen. Da ich aber ja nur einmal im Jahr nach Pilsen komme, zeige ich hier fortgeschrittene Techniken, die sich nächstes Jahr bereits verändert haben können.

Verbringen Sie viel Zeit damit, über die Techniken nachzudenken?

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Techniken nicht »machen«, sondern, dass sie sich selbst erzeugen. Künstliche Techniken sind unnatürlich. Das gilt nicht nur im Aikido, sondern auch in den anderen Budo-Disziplinen. Je fortgeschrittener das Budo, desto minimaler die Technik. Das liegt daran, dass die Teile des Körpers richtig zusammenspielen. Egal wie alt wir sind oder wie stark wir sind, wir können immer weiter üben und uns noch verbessern; wenn wir richtig üben. Um das zu erreichen sind die richtige Atmung und die richtige Körperhaltung wesentlich. Und dass wir uns nicht auf Muskelkraft verlassen.
Ich möchte einige neue Techniken einführen: 1.»Gyaku-hanmi Katate-tori« ist eintreten, sich rückwärts drehen; doch nicht indem man sich selbst dreht, wie gewöhnlich, sondern indem man sein Gegenüber zieht und dann wirft oder hebelt. 2. Eine neue Wurftechnik aus »Ai-hanmi Katate-tori«. Starke Kraft aus dem Zentrum und  Einsatz der Hüftgelenke (inklusive des Kreuzbeins) und der Schultern (inklusive des Schlüsselbeins) sind für beide Techniken wichtig.

Kommen Ihnen täglich neue Ideen, wenn Sie allein trainieren?

Wenn ich für mich selbst trainiere, habe ich neue Ideen über das Aikido, die Körpermechanik, Distanz, und so weiter. Die Frage der Häufigkeit ist aber schwierig zu beantworten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Viele Male am Tage frage ich mich: Wie kann ich diese Aikido-Technik auflösen? Was ist »Aiki« (ohne -do), heben mit »Aiki«, »Musubi« in Aikido … Dann habe ich plötzlich eine Idee. In meinem Dojo probiere ich diese neue Idee dann aus. Das macht mir viel Spaß und nützt mir sehr. Aber es geht noch weiter: Ich meditiere auch im Zen-Sitz und lese jeden Tag Sutren. Einmal die Woche gehe ich in den Schrein oder den Tempel, um mich zu beruhigen.

In Europa gibt es kaum die traditionelle Meister-Schüler-Beziehung. Gibt es eine solche Meister-Schüler-Beziehung in Japan?

Ich kenne die besondere Meister-Schüler-Beziehung in Europa und den USA. In meinem Dojo ist die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern einfach. Mit den Schülern anderer Dojos habe ich eine solche Beziehung nicht. Ich zwinge das meinen Schülern nicht auf. Ich überlasse meinen Schülern die Entscheidung, sie sollen ihren eigenen Werten folgen und selbstständig denken, ob sie Aikido lernen wollen oder nicht.

Es ist heute schwierig Schüler zu finden, die sich in einem solchen System unterordnen, oder? Wie sieht es da in Japan aus?
Leider ist es in Japan genauso. Eine traditionelle Beziehung und eine spirituelle Verbindung gehören der Vergangenheit an. Es gibt keine so herausragenden Persönlichkeiten wie Osensei und seine charismatischen Schüler mehr. Mit der Vergrößerung der Aikido-Gemeinde und fortschreitender Individualisierung wird sich der traditionelle Aikido-Geist weiter vermindern. Ich glaube, in der Zukunft wird man sich häufiger einfach im Freundeskreis treffen.

Haben Sie eine Lieblingstechnik?

Am liebsten mag ich Atemkraft-Techniken mit Fokus auf den Sinn und der Einheit des Körpers, so dass ein Angreifer sofort beherrscht werden kann. Es gibt in der Daitoryu-Schule eine Übung namens »Aiki-Age«. Das ist eine der wichtigsten ursprünglichen Grundlagen des Aikidos. Es ist sogar die ursprüngliche, uralte, Bedeutung des Wortes »aiki« [das entspricht dem Passus des Kojiki – 古事記]. Außer in dem Daitoryu, wo es das Grundlegende geblieben ist, was Heute niemand mehr im Aikido zu wissen scheint. Ich empfehle sie, weil sie einen guten Einfluss auf die Sinne und die Einheit des Körpers haben. Das macht sich dann auch bei anderen Techniken positiv bemerkbar.

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