Interview mit HorstSpäthling aus Berlin

Sein Weg zum Aikido war eher zufällig. »Ich habe auch einige Male am Judotraining teilgenommen, das war ja auch nicht so schlecht …


Horst Späthling in seinem Dojo, Brunnenstraße 181

Wir sitzen in der Wohnküche in Berlin-Friedenau. In der linken Ecke vom Eingang aus gesehen führt eine kleine Holztreppe in die Zahnarztpraxis seiner Frau. Ich bringe mein Aufnahmegerät in Stellung und Horst witzelt, dass er hoffentlich gleich nicht zu stottern anfängt.


Ich frage ihn, wann und wie es denn kam und was einen Bayern veranlasste, nach Preußen »auszuwandern«, wohl nur der Liebe wegen?

Nein, umgekehrt, die Freundin war im Schlepptau. Bedingt durch den Vier-Mächte-Status, den Berlin bis zur Öffnung des Eisernen Vorhanges hatte, konnte Horst bereits im vierten Semester Maschinenbau studieren, statt in Uniform den Rest Deutschlands zu verteidigen. Die Bundeswehr durfte keine West-Berliner einziehen, und die Berliner hatten den schöneren Ausweis: einen grünen statt den im Westen üblichen hässlichen grauen.

So zog es ihn 1973 nach West-Berlin, und er begann ein Maschinenbaustudium an der TU. Nach Abschluss des Studiums verdiente sich Horst für kurze Zeit das tägliche Brot als Tutor an der TU, trat dann aber in das alteingesessene große Berliner Maschinenbauunternehmen Borsig ein, wo er sechs Jahre als Maschinenbauingenieur arbeitete.


Vor dem Studium hatte er noch keinen Kontakt zu japanischem Kampfsport. Der Hochschulsport bot aber neben einer reichen Palette auch Aikido an, ohne großen Verwaltungsaufwand. Selbst einen gi benötigte man nicht, die hingen in der Umkleide. Man muss es wohl als einen glücklichen Zufall ansehen, dass Horst montags um 16 Uhr Mathe-Tutorium hatte, und davor, von 14 bis 16 Uhr, Aikido angeboten wurde. So begann der damals 22-jährige Horst bei Werner Kristkeitz mit dem ihm bis dahin vollkommen unbekannten Aikidotraining. Andere Sportangebote nutzte er sporadisch auch, das Aikidotraining aber besuchte er regelmäßig. Es bereitete ihm mehr Spaß, denn »der Werner machte schon einen richtigen Unterricht…«.

Irgendwann lernte er Gerhard Walter kennen, als dieser in Vertretung das Training an der TU leitete. Gerhard Walter eröffnete auch alsbald sein Dojo in Kreuzberg, in das Horst dann ein wenig später eintrat. So wurde Aikido über mindestens drei Semester zu seinem täglichen Muss.

Dieses intensive Training brachte es mit sich, dass Horst, nun auch Mitglied im Aikikai Deutschland e.V., innerhalb von drei Jahren seinen 1. Dan von Asai Sensei erhielt. Der 2. und 3. Dan folgten sehr schnell.
Er läuft in den Keller, um seinen alten Aikikaipass zu suchen und stellt fest: »Ahh, ich war sogar bis 1993 Mitglied im Aikikai! 1984 habe ich den 3. Dan von Asai bekommen.«

1982 kaufte er mit ein wenig Erspartem die Wohnung in der Sponholzstraße in Friedenau, denn dort gab es einen großen Kellerraum, der sich natürlich wunderbar als dojo eignete. Zweimal in der Woche, nach vollbrachtem Tagwerk, gab er dort Aikidounterricht. Wenn er nach Hause kam, »saßen sie schon da«, und erwarteten seinen Einsatz… Die restlichen Tage ging er dann zum Mehringdamm, ins dojo von Gerhard Walter.


»Tja, und dann habe ich meine Frau kennen gelernt, das wurde eine ganz schöne Rennerei, morgens um sieben aus dem Haus, abends Training, und dann wollte ich ja auch noch eine Beziehung pflegen. Ich musste halt überlegen, wie es weitergehen sollte. Dann kam das erste Kind und man hatte immer mehr zu tun. Der Gerd wollte außerdem immer öfter nach Japan, um sich noch intensiver mit dem Zazen zu befassen, so habe ich dann mein kleines Dojo geschlossen und habe immer mehr am Mehringdamm unterrichtet.«

Sein Weg zum Aikido war eher zufällig. »Ich habe auch einige Male am Judotraining teilgenommen, das war ja auch nicht so schlecht, das hat der Dr. Weinmann vom Weinmann Verlag geleitet, aber am Aikido hat mir besonders gefallen, dass da Bewegung ohne Aktionismus war, und der Unterricht vom Werner [Kristkeitz] war gut. Im Judo wurde gepfiffen, dann musste man laufen, beim nächsten Pfiff Liegestütze machen und dann den Kampf gewinnen. Der Gegensatz dazu steht die Aikidobewegung, dieser Versuch, ohne Kampf mit jemandem in Harmonie zu treten. Das sprach mich mehr an, deshalb auch meine Regelmäßigkeit beim Üben, über zehn Jahre mit Asai, währenddessen ich dann noch Noro und Tada kennen gelernt habe. Daraus folgten auch regelmäßige Fahrten zu speziellen Lehrgängen mit Noro oder Tada.«

Als Horst Tissier kennen lernte, trainierte er mit ihm zehn Jahre lang regelmäßig und meint im Rückblick, dass er zu ihm einen anderen Bezug hatte als zu Asai, was vielleicht daran lag, dass Tissier Europäer ist. Er hat ihn nach Berlin eingeladen, und er kam über fünf Jahre dorthin. Schließlich schlief Horsts Mitgliedschaft im Aikikai Deutschland ein, obwohl er nie gekündigt hat.
Persönliche Probleme mit Asai Sensei hatte er nie. Den Grund für den Massenaustritt aus dem Aikikai und der Gründung des BDAS sieht er vor allem darin, dass das tradierte japanische Lernsystem nicht nach Europa passt. Japanische Dogmen sowie die Hierarchie waren vielen schon länger ein Dorn im Auge – sie wollten, nach mehr als 20 Jahren eigener Praxis, endlich selbst Verantwortung übernehmen und auch ihre Schüler selbst graduieren.


»Die Situation im Dojo von Gerhard [Walter] war für mich nicht stimmig, ich unterrichtete dort, es war aber nicht mein Dojo. So war ich auch nicht Mitglied im später gegründeten BDAS, obwohl ich von Anfang an dabei war. Gut, später als ich mein Dojo eröffnete, bin ich natürlich Mitglied im BDAS, der heute übrigens heute BDAL heißt, geworden. Heute kann jeder eine Mitgliedschaft im BDAL erwerben.«

Auf meine Frage, worin sich seine beiden Lehrer, Asai und Tissier, für ihn im nachhinein unterscheiden, fällt im sofort der »iriminage« ein. Den solle man so ausführen, dass sich uke nicht am Bauch festhalten könne, habe Asai gesagt, habe aber, seiner Erinnerung nach, keine Erklärung dazu geliefert – er erinnert sich aber an Tamura, der habe schon eher etwas erklärt, dass man sich mehr hinter uke bewegen solle. Im Gegensatz dazu erklärte Tissier aber das technische Problem.

»Die Japaner haben immer nur davon gesprochen, man solle locker und ohne Kraft arbeiten«, das habe ihm als Maschinenbauingenieur aber ein großes Problem bereitet, »denn wie hebt man einen Arm, wenn keine Kraft im Spiel sein soll!?«
So waren die Erklärungen von Tissier für ihn lebendig und bereichernd und ließen überdies Freiraum für Diskussionen untereinander. Später sah er Yamaguchi in dieser Bewegung: Der habe den Arm angehoben, sich dann aber gleichzeitig in die Knie begeben. Horst steht auf und macht lachend und mit Begeisterung diese Bewegung nach.

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