rolf patermann Das Weidenherz Dōjō …

… ein Gespräch in der Weserauenland Edition 100DE


Rolf während unserem Gespräch

Das von dir verwendete Weidenherz – Yōshin-ryū, (しん), bedeutet bei meiner Suche nach einer Übersetzung  »Tiefe des Herz«, aber nicht Weidenherz … Da ich wegen meiner unzureichenden Japankenntnisse unsicher war,, fragte ich Max Seinsch aus Berlin – von ihm erfuhr ich, dass es eine Jūjutsu-Stilrichtung namens  »Yōshinryū« gibt … – wie bist du auf Weidenherz gekommen?

… das ist keine korrekte Übersetzung, ich hörte von einer Schule Yōshin-ryū und das war übersetzt worden mit Weidenherz … dieser Name, dachte ich mir, passt in diese Region mit den vielen Kopfweiden …, so habe ich diesen Namen gewählt, rein gefühlsmäßig.


Was ist Aikidō für dich?

Das möchte ich mit der Metapher »Bewegungsgrammatik« definieren.
 
1970 begann ich mit  Jūjutsu, dem folgte Karate und Jūdō … mit Beginn meines Studiums, in Braunschweig, stieß ich 1980 auf Aikidō, dass von Heinz Hermsdorf, der ein Schüler von Gerd Wischnewski war, geleitet wurde. Heinz selbst hatte 1965 begonnen und den 1. Dan als ich anfing. Nach einem halben Jahr wurde ich Vereinsmitglied beim Deutschen Aikidobund (DAB). Ich blieb bis 1986 in Braunschweig und erhielt den 1. Dan des DAB.

Im Herbst ´86 sind meine Frau und ich nach Japan gereist und haben uns einen Monat das Land angeschaut. In dem folgenden Monat haben wir im Hombu-Dōjō trainiert. Aber wir waren auch einige Tage bei Meister Saitō in Iwama.

Nach unserer Rückkehr war mir klar, dass ich einen Japanischen Lehrer haben sollte. Denn der Unterschied, von dem was man mir im DAB beigebracht hatte, zu dem, was ich im Hombu-Dōjō gelernt habe, war doch gravierend, um es vorsichtig auszudrücken.
So schauten wir uns um und fanden Meister Asai in Düsseldorf. Meine Frau hat dann dort auch gleich eine Arbeitsstelle erhalten … wir packten unsere Sachen in Braunschweig – was wir schon vor unserer Japanreise »aufgegeben« hatten. Meine Frau sagte, das können wir uns ein Jahr lang leisten. Es wurden aber zwei Jahre, die ich in Düsseldorf trainiert habe.

Dann bekam ich hier in Espelkamp eine Arbeitsstelle und das hiesige Haus kam uns auch noch in die Quere … – sprich durch Arbeitsstelle und Haus sind wir hier gelandet.
Ich bin weiterhin zu Lehrgängen mit Meister Asai gefahren, der mir 1997 den 3. Dan gab.

Nun hatte ich aber auch die Zeit, mich bei anderen Lehrern umzuschauen, bei Meister Tamura, bei Tissier war ich einige Male, wie auch einige Andere …
Aber dann kam auch ein weiteres Element – die Natur – hinzu, was ich bereits in meinem Studium, der Psychologie, behandelt hatte. Dann aber hauptsächlich Umwelt-Psychologie. Nebenbei habe ich noch das Lehramtsstudium für Grund- und Hauptschule abgelegt und traf dort auf Dr. Trommer, der interessante Dinge aus den USA mitgebracht hatte. Formell mit Kindern die Natur erleben … Da machte es »klick« bei mir, nicht wie wir das vorher machten, Pflanzen und Vogelstimmen zuordnen, nein – wirklich erleben, eintauchen in die Natur.

So habe ich auch später eine Ausbildung zu einem »Wildnis Pädagogen« gemacht. Womit ich Verbindungen zwischen Aikidō und der Natur herstellen konnte. Es gibt da einige Übereinstimmungen. So sagte Ōsensei, dass, wenn man jemanden gegenübersteht, diesem nicht direkt in die Augen schauen soll – der Blick könnte fixiert und das KI könnte gebunden werden. Auch sieht man alles andere nicht mehr, wenn man Jemanden in die Augen schaut. Dies ist aber auch etwas, was draußen Parallelen aufweist – man schaut mit »Weitwinkel- oder Peripheren-Blick«. Um viel wahrzunehmen.

Wie im Aikidō, die Umrisse einer Person, kein Detail. Nur so hat man die Möglichkeit, Dinge, die von irgendwoher in meinen Fokus gelangen, wahrzunehmen und zu erfassen.


Außerdem hat der Weitwinkel-Blick den Vorteil, dass Ruhe in mich einkehrt und meine Augen nicht nervös von Punkt zu Punkt springen – was automatisch geschieht, wenn nicht die Ruhe meinen Blick leitet.  
Gleiches gilt für meine Schritte. Nicht umsonst haben wir die Aikidō typische Drehbewegung »tai sabaki«, oder die Gleitschritte »tsugi ashi«, die Vorwärtsbewegung »irimi ashi« den Vorwärtsschritt »issoku irimi«, wie die aus dem hara geschobenen Bewegung »ayumi ashi« … sie ermöglichen mir, mit meinen Zehen ein Abtasten des Bodens, ein Gleiten, möglichst lautlos … – oder Foxwork. Zusammen mit dem Weitwinkel-Blick sollte so im Dōjō mit dem Partner geübt werden. 

Es gibt ja die Geschichte der Selbstverteidigung – was tue ich, damit ich in einer mir fremden Umgebung nicht angegriffen werde. Da gibt es das Konzept der Achtsamkeit, was viel mit dem Blick zu tun hat und dann die »Beziehung« zum Boden zuhaben. Die Schwerkraft und dem Blick zu kombinieren … In den 1960er Jahren gab es das Experiment des Kriminologen Reinhold Schneider. Er befragte Täter, Gefangene, Vergewaltiger … : »warum habt ihr euch diese Person und nicht die Andere ausgesucht?«. Dann wurden ihnen Filme mit Passanten auf einer Fußgängerzone vorgeführt und man bat sie, ihnen potentielle Opfer zu benennen. So wurden Merkmale herausgefiltert, die Opferverhalten zeigten. Das waren dann Menschen, die den Eindruck erweckten, dass sie leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden können oder sie spiegelten eine Orientierungslosigkeit oder gekrümmte Körperhaltung.
Das wäre so eine Übereinstimmung zwischen Kampfkunst, Bewegungskunst und dem was man in der Natur erfährt.


… jetzt hörst du auf – du der bis jetzt so viel redete, dass ich mich bereits auf eine Fortführung eingestellt habe – und jetzt …

(lachen)
… besser so, sonst ufert das aus …


Gudrun: … Sie erwähnten im Vorgespräch, dass Jugendliche hierher kommen um…

… das sind Jugendliche, die in der nächsten Woche kommen – sie machen eine Ausbildung zu Erziehern oder Erzieherinnen und werden hier in die Wildnispädagogik eingeführt.
Da werden Dinge, wie Weitwinkel-Blick, Foxwork, Feuer machen ohne Streichhölzer und Feuerzeug, oder das Sitzplatz-Konzept – hier wieder eine Verbindung zu Aikidō – einfach laufen zu lassen, an nichts festzuhalten, dass würde dem Sitzplatz da draußen entsprechen; man sucht sich einen Ort der einem gefällt, lässt sich nieder, hat die Augen, Ohren geöffnet, man riecht, schmeckt  und lässt kommen was da kommt … 

Bei meiner eigenen Ausbildung dachte ich, ahh, jetzt schicken sie einen heraus, damit sie Zeit für sich haben ∞ aber dann habe ich mich schnell umorientiert, denn es strömen eine Menge Dinge auf einen zu … Hier bei mir auf dem Sitzplatz kamen auf einmal die Spitzmäuse an und versammelten sich zu meinen Füßen oder ich sah die Krähen, die sich mit den Falken in die Haare bekamen und eine wilde Verfolgungsjagd in der Luft veranstalteten. Ich sah einen Fuchs der ein Rehkitz im Kreise jagte bis die Ricke dazwischen ging. Dinge, mit denen ich nie gerechnet hätte.

Sturmtraining, wenn der Wind hier so richtig bläst, dann raus gehen und Aikidō auf der Wiese üben. Der Sturm trägt uns oder drückt uns – versuchen, eine aerodynamische Form einzunehmen. Oder auch Wassertraining: tai sabaki wenn einem das Wasser bis zu den Knöcheln steht und bis zu den Hüften, wie ist es wenn das Wasser bis zu den Schultern geht – wie ist der Auftrieb … Welche Kräfte entstehen, wenn ich beginne mich zu bewegen, wie werde ich »hinausgetragen« – wie komme ich wieder hinein … tantodori unter Wasser … 
Dinge, die über das »normale Training« hinausgehen.
24 Stunden Training, von  Morgens um 9 Uhr … im 1 1/2Stunden Rhythmus, dann eine viertel Stunde Pause ∞ bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr. Das waren interessante Erfahrungen, da mitmachen und gleichzeitig das Training leiten. Ermüdende Tiefen – nachts um 3 Uhr … Die Verletzungsgefahr ist auch sehr groß … dann die letzten Stunden bis zum Frühstück. Das haben wir zwei Mal gemacht und es gab immer welche, die aufhörten. Aber die Damen 50+ … – da war keine dabei die sagte »es recht mir«, keine. Das waren auch die, die eine Wiederholung wollten …


Gudrun: Wie viel Teilnehmer nahmen daran teil?

Bei dem 24 Stunden Training waren es sechs Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Wenn hier sechs Leute teilnehmen, dann bin ich zufrieden – das Maximum waren, so meine ich mich zu erinnern, zehn Teilnehmer. Insgesamt sind hier 20 gemeldet, der Kern sind so sechs, die regelmäßig dabei sind …
Wir haben regulär drei Mal Training pro Woche. Montags habe ich im Nachbarort »Heigln«- Dienstags, Freitags und Samstags Aikidō. Wer will, kann zwischen den Zeiten freies Training machen …


Gudrun: … das Dōjō steht ihnen offen?

… nach Absprache oder sie kommen und klingeln. Wo war ich stehen geblieben …


Heigln?



Heigln ist eine spezielle Konditions-Therapie Methode, die aus dem Kreis Nienburg kommt und von Heigl gegründet wurde. Er wurde 1901 geboren und lehrte an der Militärakademie bei Potsdam. Auch war er Trainer des deutschen 5-Kampfteams, die 36 die Goldmedaille holten. Er war dann Soldat, der in die russische Kriegsgefangenschaft kam. In seiner Biografie schreibt er, dass er in einer sumpfigen Gegend war, in der viele an Fieber starben. Mit ihm war dort eine japanische Einheit interniert, diese machen jeden Morgen »Gymnastik« und sie hätten signifikant weniger Todesfälle als die Deutschen gehabt.  Er habe sich die Gymnastik angeschaut und mitgemacht …  um es dann mit seinen Leuten gemeinsam zu trainieren. Nach dem Krieg sei er nach Syrien gekommen und hat in Damaskus Trainings gegeben.
In Deutschland zurück hat er im Kreis Nienburg das sogenannte »Bauerntraining« gegründet. In den 1950er Jahren hat er mit den Leuten, die sich auf den Feldern krumme Rücken »anschafften« trainiert und ihnen dadurch geholfen – die Methode ist hier sehr populär.  … Lesen Sie mehr, in der Edition des AJ100DE

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