Herr Laiber, Sie praktizieren und unterrichten Takeda ryu – wodurch unterscheidet sich dieser Stil vom Aikido?

In Japan leitet Soke Nakamura das Hombu Dojo. Ursprünglich war der ryu für die »Öffentlichkeit« verschlossen.

Wenn man von Takeda ryu spricht, dann wird ist dies im Allgemeinen mit Soke Takeda und seine Nachfolgern in Verbindung gebracht. Es herrscht aber Unkenntnis darüber, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts der berühmte General Takeda Shingen eine Schlacht verlor, was dazu führte, dass er verstarb und der Familienklan durch Unstimmigkeiten auseinander brach. Ein Teil spaltete sich ab und gründete unter dem gleichen Namen »Takeda« den Daito-ryu. Der Rest der Familienmitglieder »behielt« den Namen »Takeda« bei und führte damit auch die gesamte japanische militärische Tradition fort, sprich alles, was auf dem Schlachtfeld existierte, sei es Iai-do (welches ein Spezifikum der Takedafamilie ist), Ken jutsu, Jo oder Bo jutsu. Das sind zusätzliche Disziplinen, weil ja der Samurai nicht mit dem Stock in die Schlacht ging, sondern mit der Lanze. Wenn diese aber beispielsweise brach, dann musste er auch in der Lage sein, damit dennoch weiter zu kämpfen. Das yari gehört auch zu diesen militärischen Disziplinen.

Ju kempu ist auch typisch für das Takeda ryu, dies ist ein auf atemi basierendes Ju-jutsu, welches sowohl auf die Vitalpunkte des Körpers, als auch auf die Schwachpunkte der Rüstung abzielt, so z. B. auf die Beine und die Rüstung, nicht aber auf den Kopf, es ist also nichts Spektakuläres. Dann ist da noch das shuri kenjutsu, sprich das Werfen von Wurfsternen, was in der Takeda-ryu einen Anhang an die Iai-do Praxis darstellt. Weil in der Phase des Schwertziehens die Wurfsterne eingesetzt werden können, wird dies aber nur von den Fortgeschrittenen geübt.


Diese soeben aufgezählten Praktiken sind auch noch heute Bestandteil des Takeda-ryus?

Das gehört auch heute noch zur Übungspraxis.

Besonders wichtig ist das Prinzip des Aiki, welches ja auch im Daito-ryu bewahrt wurde, wobei man sich in der Daito-ryu auf Kämpfe innerhalb eines Gebäudes spezialisierte. So findet man viele Techniken in suwari-waza.
Das aiki-Prinzip finden wir aber sowohl im Kampf mit leerer Hand, dem ju kempu, wie in den drei Phasen das aiki jujutsu. In der letzten, der fortgeschrittenen Stufe, werden ki-Übungen praktiziert – das, was ja auch O Sensei in der weiterentwickelten Form, eben im Aikido, weiter verwendete, was der letzten der Daito-ryu Stufe entspricht.


Bekannt wurde der ryu, als Sensei Maroteaux nach Japan ging; er war shihan in Hakoryu. Hakoryu ist eine Schule, die aus dem Daito-ryu stammt. Sie basiert mehr auf medizinischen Kenntnissen als andere Schulen, wie z.B. der Meridiane oder der Atmung und ist eigentlich gar nicht kämpferisch. Aber Sensei Maroteaux wünschte sich etwas mehr Martialisches, was auf dem aiki basiert. Er fand zufällig in einer Buchhandlung ein Buch, welches den Titel »Takeda ryu Aikido« trug. So entdeckte er das Takeda aikijutsu, weil der Autor dieses Buches der Soke des Takeda ryu Japans war.

Die Schule hat versucht unter dem Namen Aikido ihre Kunst zu verbreiten, weil Aikido moderner war. Aber die Technik ist Aikijutsu.

So begann Sensei Maroteaux erneut eine neue Disziplin zu erlernen. Zehn Jahre lernte er sie ohne jegliche Graduierung zu erwerben. 1990 erhielt er den Titel »joden shihan« und die Genehmigung, diesen Stil außerhalb Japans zu unterrichten. So hat er die weiteren Grade des 6. Dan in Aikijutsu, den 5. Dan Iai-do und den 5. Dan Jodo.
Wir haben ihn 1993 von Rumänien aus kontaktiert und praktizieren seitdem diesen Stil. Er hilft uns sehr viel, vor allem hat er es verstanden die finanziellen Probleme dieses »Oststaates« zu umgehen. Durch seinen Verband ESTA hat er die Aktivitäten in Rumänien regelmäßig unterstützt, bis wir in der Lage waren, uns besser zu organisieren.

Seine aufopfernde Haltung führte dazu, dass wir uns ihm verpflichtet fühlten und uns weiterentwickelten mit dem Resultat, dass Rumänien 2005 den zweiten Internationalen Dakei austragen durfte. Der erste fand mit einer großen Teilnehmerzahl aus 14 Ländern in Belgien statt. Wir hoffen, dass wir so die Gesellschaft unterstützen können, denn das, was wir seit 1993 erhielten, geben wir nun an Budapest, Griechenland und die Türkei weiter.


Haben Sie gleich mit dem Takeda ryu begonnen oder hatten Sie vorher schon Budokontakt?

Anfangs war ich natürlich begeistert vom Fremdländischen und Verbotenen. Alle Klubs, die asiatische Kampfkünste anboten, waren verboten, sie trugen Namen von z.B. Tanzklubs oder asiatischen Kulturvereinen. Es gab so etwas wie ein »stillschweigendes Einverständnis« mit der Geheimpolizei – auch sie profitierte von diesem Training. 1986 begann ich eben auch illegal mit Karate. Ich hatte den Vorteil, dass ich einige französische Bücher und Zeitschriften fand. So orientierte ich mich recht schnell am traditionellen Budo und übte parallel Karate und Jujutsu, um dann später feststellen zu müssen, dass es nicht unbedingt etwas Traditionelles war, was ich mir da ausgesucht hatte. Aber dank einiger französischer Zeitschriften entdeckte ich Sensei Maroteaux. So konnten wir bald mit ihm die ersten Lehrgänge organisieren.

Durch meinen Kontakt zu chinesischen Kampfkünsten wie Tai-Chi und Gigong gab ich Karate auf. Aus meiner heutigen Sicht ist Karate eine vereinfachte und erzwungene Form der chinesischen Kampfkünste, die entstand, weil man in Okinawa unterdrückt wurde und schnell eine hohe Effizienz haben wollte. Es ist zweifelsohne effizienter, aber auch ungesünder, eben etwas von kurzer Dauer.

Da Takeda ryu eine »vollständige« Schule ist, fand ich nun das von mir gesuchte Traditionelle, eben eine Schule, die den ganzen Körper berücksichtigt und mit Waffen, leerer Hand oder Bujutsuido arbeitet, was den medizinischen Teil des Takeda ryu beinhaltet.


Wie alt waren Sie vor 13 Jahren, als sie 1993 Kontakt mit Sensei Maroteaux aufnahmen?

Also ich bin 1964 geboren und war damals 29 Jahre alt. Ich habe auch erst seit kurzem, seit einem Jahr, ein eigenes Dojo.


Und wo haben Sie bis dahin gearbeitet?

Bis dahin machte ich »Wege«, z.B. zu einem Lehrer nach Bukarest, welcher Hakko ryu lehrte. Seiner Lehrerlaubnis erhielt dieser 1993.
Für Jujutsu ging ich zu Meister Alois Gurski, und für Karate ging ich nach Târgoviste zu Meister Mageriu.

Sensei Mageriu hat den 6. Dan in Karate. So lud ich diese beiden Herren regelmäßig nach Pitesti ein, wodurch ich dann in der Lage war ein Dojo aufzubauen.


Wie ist die Entwicklung? Sind Sie zufrieden?

Es ist insofern befriedigend, als die Teilnehmer eine gewisse Qualität aufweisen. Ich glaube nicht, dass viele Menschen in ein traditionelles Dojo kommen werden, denn dies ist eine Frage der Motivation. Viele suchen Selbstverteidigung oder Sport; beides findet man in einem traditionellen Dojo nicht. Es ist gut so, denn letztendlich muss jeder seinen Weg wählen. Aus diesem Grund sind wir nicht viele.

Wir haben etwa acht Dojos in Rumänien. Ich leite die Dojos in Pitesti und Bukarest.


Sie meinen, dass die meisten Menschen eher Sport als etwas Traditionelles suchen?

Nicht unbedingt, aber ich weiß, dass es bei den Sportschulen und Karate-Vollkontaktschulen eine enorme »explosionsartige Entwicklung« gibt. Aber genauso gibt es einige wenige Menschen, die zu einer gewissen Reife kommen und dann eine Balance in ihrem Leben suchen, was sie dann möglicherweise zum Traditionellen führt. Die Kampfkünste können dann zumindest einen solchen Vorteil anbieten. Statt einer »Gewinnermentalität« handelt es sich hier um eine Strategie positiven Denkens, die im Dojo mit einem Partner, wie auch im alltäglichen Leben umsetzbar ist. Das Fundamentale am Aiki ryu eben als einer alten Schule ist ja, dass der Gegner nicht besiegt werden muss, man muss auch nicht unbedingt eine Technik anwenden, denn das Ziel ist, den Gegner gar nicht erst in die Lage zu versetzen, eine bestimmte Technik anzuwenden. Das bedeutet zu kontrollieren, aber nicht zu zerstören. Ich denke, dass diese Art der Kontrolle in jedem Lebensbereich wichtig ist.


Worin sehen Sie den Unterschied zum Aikido?

Das ist schwierig für mich zu beurteilen, weil ich nun mal kein Aikido praktiziere. Anderseits weiß ich vom Geschichtlichen her, dass die Aikidotechniken so angepasst waren, um sie einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen, während es sich beim Takeda ryu um militärische Techniken handelt, welche zufällig auch von einem breiten Publikum benutzt werden können. Andererseits werden die Techniken seit 44 Generationen in der Familie Takeda weitergegeben; so bedarf es eines gewissen persönlichen Einfühlungsvermögens. Wiederum sind die Aikidotechniken aus der »Vereinfachung« einiger Jujutsu Techniken entstanden. Es handelt sich um eine wunderbare Art der Selbstverteidigung, je nachdem, was man damit erreichen möchte. Gute Freunde von mir praktizieren Aikido; sie sind weniger an an der Effektivität als an der geistigen Haltung des Aikidos interessiert, was ihnen ein gutes inneres Gleichgewicht gibt und was wahrscheinlich aggressive Übergriffe auf sie verhindert.

Das militärische Takeda dagegen ist dazu geschaffen, um gegen einen anderen militärischen Experten anzutreten. Folglich ist der martiale Geist sehr stark, denn der Tod war durch eine falsche Anwendung einer Technik zu jeder Zeit gegeben. Eine falsche Anwendung zu überleben heißt aber auch, die Technik dann besser weitergeben zu können.

Beide Schulen, Aikido und Takeda, sind nach meiner Meinung gute Schulen, man muss eben wissen, was man möchte. Aikido ist Gendai budo, eben modernes Budo, das aber auf eine traditionelle Unterrichtsart vermittelt wird, was ich sehr gut finde.

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