Fangen wir mit der traditionellen Frage an: Wann und wie haben Sie mit dem Aikido begonnen?
Ich habe mit 12 begonnen, in der Region, wo ich damals wohnte, in Saint-Etienne. Warum ich damals angefangen habe?
Ich weiss nicht so recht… Ich hatte von jemandem gehört, der von Aikido sprach. Etwas sprach mich an, ich wusste nicht genau, was es war, aber ich wollte es ausprobieren. Als ich dann anfangen wollte, hat mir der erste Lehrer, dem ich begegnet bin, gesagt: »Nein, du bist zu jung, wir nehmen keine Kinder im Aikido. Du musst Judo machen.«
Ich habe geantwortet: »Ich mache gerne Judo, aber ich will auch Aikido machen.« Er sagte: »Wenn du wirklich was anderes machen willst, dann geh zum Karate. Aber das Aikido, das ist zu viel für Kinder.« Ich anwortete »ok, ich mache Karate, aber ich mache auch Aikido.« Da musste also feststellen, dass ich ziemlich dickköpfig bin. Daraufhin meinte er: »Gut, hör zu: Es gibt einen Aikidokurs, der in zehn Minuten beginnt. Du wirst probieren und du wirst sehen, dass es nichts für Kinder ist.« Ich habe es ausprobiert und ich habe weitergemacht. Ich habe auch neun Jahre lang Judo und Karate gemacht. Alle drei Disziplinen.
Und warum haben Sie mit dem Aikido weitergemacht?
Dass ich beim Aikido geblieben bin, hat zu einem grossen Teil damit zu tun, dass ich, als ich 19 Jahre alt war, Meister Kobayashi kennen gelernt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe ich beschlossen, mit dem Judo aufzuhören.
Ich hatte noch nicht mit dem Karate aufgehört aber ich hatte mit dem Kendo begonnen. Ich habe wirklich Kendo gemacht, es hat mir sehr gefallen und hatte schon mit dem Gedanken gespielt alles aufzugeben um nur noch Kendo zu machen.
Aber als ich Meister Kobayashi getroffen habe, habe ich am gleichen Tag beschlossen, mich vollständig dem Aikido zu widmen. Nicht, dass ich es vorher nicht schon tat, aber für mich hat diese Bekanntschaft den Rest meines Lebens beeinflusst. Es war sehr wichtig.
Ich war auf der Suche nach einem Meister. Kurz vor meinen 19 Jahren habe ich Bilanz gezogen und ich sagte mir: »Was ich mache, das ist sehr gut, aber es fehlt mir eine Dimension. Diese möchte ich finden – die Lösung wird sein, den wahren Meister zu finden«.
Ich hatte viele japanische Meister auf meinen Reisen durch Europa getroffen. Während meiner Jugend kannte ich alle japanischen Experten, die nach Europa kamen. Ich hatte wirklich mit ihnen trainiert, aber ich war relativ unzufrieden.
Von welcher Zeit ist hier die Rede?
Es war zwischen 1965 und 1973, als ich Meister Kobayashi Sensei getroffen habe. Während dieser Zeit habe ich Meister Tamura kennen gelernt und auch bei ihm trainiert.
Ich mag ihn und respektiere ihn sehr. Er ist ein bemerkenswerter Mensch. Dies gilt auch für Meister Noro, Meister Tada, den ich sehr schätze, Meister Asai und Meister Chiba. Ich habe mit manchen mehr trainiert als mit anderen. Ich habe regelmässig bei Meister Noro und Meister Tamura trainiert, manchmal mit Meister Tada, von Zeit zu Zeit in Paris auch mit Meister Asai. Da ich öfters zu Meister Noro nach Paris ging, ergab es sich, denn er lud Meister Asai regelmässig ein…
Aber ich hatte dieses Gefühl, dass mir etwas fehlt. Diese Menschen waren ohne jeden Zweifel sehr kompetent, sehr anständig. Aber zu ihnen empfand ich nicht die gleich starke Bindung wie zu Meister Kobayashi. Als ich Meister Kobayashi getroffen hatte, war ich überzeugt, am gleichen Tag, sofort, ohne Hader.
In meinem Leben habe ich nicht viel anderes gemacht als Kampfkünste, aber davon habe ich viele gemacht. Mit Sensei hat es von diesem Moment an bis zu seinem Tod gedauert, in einer sehr grosse Intensität. Es gab Zeitabschnitte, von denen man sagen kann, dass wir während 7 von 12 Monaten zusammen gereist sind.
Es war eine sehr nahe und sehr starke Beziehung. Ich habe sehr schnell Japanisch lernen müssen, weil er keine andere Sprache sprach und auch keine andere lernen wollte. Nach sehr kurzer Zeit bin ich sein Übersetzer geworden.
Ich habe diesen Menschen sehr geliebt. Er hatte eine aussergewöhnliche menschliche Seite. Es gab bei ihm etwas, das auf mich sehr anziehend wirkte. Seine ethische und philosophische Rede stimmte auf der einen Seite mit dem wahren Kodex des Aikidolehrerberufs überein und gleichzeitig mit seiner wahren Lebenseinstellung.
Er war ein Ästhet und legte grossen Wert auf die ästhetische Qualität des Aikidos. Er beharrte sehr auf der Qualität der Stellungen und den Wert der einzelnen Technik. Wie man angreift – man greift nicht irgendwie an, man respektiert beim Angriff –, wie man wirft…
Er knüpfte eine kapitale Wichtigkeit an die Qualität der Beziehungen, die man aufbaute und an die Ästhetik. Er sagt oft: »Ethik, Ästhetik, Wirksamkeit, dass ist unzertrennlich, es gehört zusammen«. Das hat mir sehr gefallen.
Er war ein Mensch, der ein sehr schönes Aikido hatte, sehr elegant und im Leben war er sehr elegant, er hatte eine sehr strahlende Persönlichkeit. Für mich war sie immer da, aber vor allen Dingen am Anfang…
Wenn man Jugendlicher ist oder junger Erwachsener – mit 19 – ist man fasziniert. Er war ein Vorbild im wahrsten Sinne. Viele Jahre lang habe ich keinen Sinn für Kritik gehabt, aber sehr viel Bewunderung. Und es hat mir sehr geholfen, denn so konnte ich starke Verbindungen, technische und körperliche Basen erstellen, die mir anschliessend im ganzen Leben sehr nutzbar waren.
Sind Sie immer nur Meister Kobayashi gefolgt oder hatten Sie ein Dojo?
Ich habe immer Dojos gehabt. In Wirklichkeit habe ich mit 15 begonnen, bei meinem ersten Lehrer Aikido zu unterrichten. Ich habe meine ersten Kurse in Saint-Etienne gegeben. Anschliessend, mit 17 habe ich begonnen, ein weiteres Dojo zu gründe. Und als ich Meister Kobayashi begegnet bin, hatte ich schon fünf Dojos gegründet, in denen ich alleine unterrichtete. Aber als er da war, habe ich das Dojo einem Schüler überlassen und bin mit ihm gegangen. Er kam im Winter zwei Monate nach Europa und drei, manchmal auch mehr Monate im Sommer. Er kam im Winter vom 20. Januar bis zum 3.–4. März und im Sommer kam er vom 20.–25. Mai bis zum 20. September.
Das war zwischen 1973 und 1982. Ich begleitete ihn auf allen seinen Winter- und Sommerbesuchen. Ich ging im Frühling für ein oder zwei Monate nach Japan. Manchmal machten wir im Herbst eine andere Rundreise: Er ist ein paar Mal nach Südamerika gegangen oder nach Süd-Ost Asien… Wir bewegten uns. In diesen Momenten überliess ich die Dojos meinen Schülern.
Aber während der Momente wo ich in Europa war, habe ich sehr viel gearbeitet. Ich gab Unterricht und arbeitete nebenbei: Ich musste sehr schnell Geld verdienen, weil ich es für die Reisen brauchte. Finanziell war es eine sehr schwierige Periode, aber gleichzeitig eine sehr glückliche Zeit, es war fabelhaft. Was ich dafür bekam, war aussergewöhnlich. Ich habe aus dieser Zeit nur gute Erinnerungen. Die finanziellen Problem habe ich hinter mir…
Sie sind Profi…
Ich bin beruflicher Aikidolehrer seit 1976. Ich lebe vom Aikido seit dieser Zeit: Am Anfang sehr schlecht, jetzt etwas besser. Es ist ein guter Beruf, wenn man ihn seriös und gewissenhaft betreibt.
Hatten Sie angespart, um ein Dojo zu eröffnen?
Ich habe im Moment kein fixes Dojo. Ich bin dabei, eins zu bauen, aber es ist noch nicht fertig (das »Kobayashi Hirokazu«-Dojo in Bourg-Argental wurde am 27. September 2003 eingeweiht. Anmerkung der Redaktion)