Kurt Bartholet Teil 2

Als Uchi Deshis lebten und trainierten wir dort in einer kleinen Gruppe wie zu alten Zeiten in der japanischen Tradition.


Kurt Bartholet während unseres Gespräches 2008.

Für jemand, der Etwas erfahren möchte, ist Iwama nicht geeignet?

Es kommt wahrscheinlich immer auf die momentanen Lebensumstände an, was wir wie, wo wann erfahren können und für was wir offen sind. Ich habe mich oft gefragt was gerade mich damals nach Iwama zu Saito Sensei geführt hat. Ich hätte auch im Hombu Dojo landen können oder in einem Zen Kloster. Mein Weg führte mich aber in diese traditionelle ländliche Gegend von Iwama in das alte Dojo von O`Sensei und das war gut so. Als Uchi Deshis lebten und trainierten wir dort in einer kleinen Gruppe wie zu alten Zeiten in der japanischen Tradition. Das Leben damals in Iwama war sehr einfach, weit weg von der modernen Hektik. Das Training umfasste das ganze Leben, 24 Stunden, für Privatsphäre war kaum Raum. Früh morgens meditierten einige, vor dem morgendlichen Waffentraining musste der Aiki Shrine gepflegt werden. Nach dem kurzen Frühstück arbeiteten wir mit Saito Sensei im Wald oder im Garten. Der ganze Tag war immer voll ausgefüllt. Nachmittags hatten wir unsere freie Zeit in der wir frei trainieren konnten oder in der ich mit zwei meiner Freunde jeweils täglich auf den Atago san rannte. Das Uchi Deshi-Leben war ähnlich wie in einem Zen-Kloster: Rückzug, Training, arbeiten und bei sich selbst sein.
Anschliessend an die Zeit in Iwama trainierte ich bei Bruce Klickstein in Oakland, [siehe Aikidojournal 55D] und lebte dort als Uchi Deshi für drei Monate mit Ethan Ben Mair, der später Aikikai Israel gegründet hat im Dojo. Die Umgebung war ganz anders, ich war zurück in einer städtischen Umgebung, wo die Ruhe sich auf den inneren Raum des Dojos beschränkte. Im Training kam zudem eine athletische Dynamik hinzu die mich anfänglich an meine Grenzen brachte. Es hatte etwas von Leistungsport, wir starteten mit 100 Rollen vor und zurück und trainierten in diesem Stil die ganze Zeit was zu einer ungemeinen physischen und psychischen Leistungsfähigkeit führte. Der Schwerpunkt des Trainings bei Saito Sensei wie auch bei Bruce Klickstein lag mehrheitlich auf technischer physischer Ebene. Die innere Arbeit - meditative spirituelle Arbeit - war jedem Einzelnen überlassen. Von einem alten Trainingsfreund, der früher Schüler von Donn F. Draeger (1922-1982) war, welcher mehrere Bücher über verschiedene Aspekt der Kampfkünste geschrieben hat, erfuhr ich folgendes. Donn Draeger habe ihm erzählt, dass er die wahren Meister, die wirklich in einen tieferen Bereich vorgestossen waren nur in China kennengelernt habe und nicht in Japan. Ähnliches überlegte ich mir oft auch in Iwama – O`sensei öffnete einen Weg in einer andere Bewusstseinsebene die wahrscheinlich nur die wenigsten seiner Schüler wirklich erfassen konnten. Jeder seiner Schüler erfasste aus seinen Möglichkeiten einen Teil des Ganzen. Saito Sensei bewahrte eine technische Tradition aus einer bestimmten Epoche mit der Gefahr dass diese Tradition zum Selbstweck wurde und Technik fast in eine Abhängigkeit führte. Saito Sensei vermittelte aber in diesem Bereich auch ein Wissen, einen Wert wofür ich ihm immer sehr dankbar sein werde.

Hatten Sie nie das Bestreben wieder in den Zustand zu gelangen, bevor Sie in „diese Konzepte“ in Iwama zurück verfielen, sprich das bei den Sesshin im Kloster bei Pater Lassalle Erfahrene wieder zu erlangen?

Es ist sicher kein einfacher Weg, direkt ohne Umschweife in die Tiefe zu dringen, an die eigentliche Lebenssubstanz zu gehen wo wir der Sinngebung in einer anderen Dimension begegnen. Ja sicher diese Erfahrung war vielleicht eine der wichtigsten in meinem Leben und ich besuche deshalb auch weiter in regelmäßigen Abständen Meditations - Seminare. Gegenüber der Form bin ich offen, es können Zen Sesshins oder Vipassana Seminare oder andere Seminare sein. Es ist in der Tat so, dass dieser Zustand nicht einfach bleibt, er muss immer wieder erarbeitet werden und man kann nicht in den Erfahrungen ausruhen. Wenn mein Berufsalltag es zuläßt, ist das tägliche Sitzen Teil meines Lebens.
Ich spüre manchmal in mir die Sehnsucht, für längere Zeit in ein Kloster zu
gehen um mich diesem inneren Prozess wieder völlig hinzugeben. Meine familiären
Verpflichtungen lassen dies im Augenblick nicht zu. Der Ort, die Form ist eine Sache, der Lehrer der einen begleitet, die andere. Die Begegnung mit Pater Lassalle war prägend und richtungsweisend in meinem Leben, solche Begegnungen erfahren wir nicht jeden Tag. Pater Lassalle hat nach jedem Sesshin auch immer wieder betont dass es am Ende darum geht all diese Erfahrungen sinnvoll in unseren Alltag mit all den alltäglichen Herausforderungen zu integrieren. All diese Erfahrungen in den vergangenen Jahren, ergänzt auch durch meine therapeutische Arbeit, prägten natürlich, wie schon gesagt, auch mein Aikido in vielen Bereichen.

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